Fotos: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen sofern nicht anders bezeichnet
Thema des Tages10.12.2019 © Göttinger Tageblatt — mit Genehmigung
Symbole des Gedenkens an Judenverfolgung 08.12.19 21:20, ©HNA, mit Genehmigung
Herr der Stolpersteine: Der Kölner Gunter Demnig ist Initiator der Aktion. Mehr als 63 000 Steine erinnern an das Schicksal jüdischer Menschen. Archivfoto: Judith Lacroix
Die Uni-Stadt erhält auf Betreiben der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit am Montag 17 weitere Stolpersteine.
Allein neun der glänzenden Pflastersteine werden ab 11 Uhr vor dem C&A-Kaufhaus von dem Kölner Künstler Gunter Demnig gesetzt. Acht Steine werden danach an der Bühlstraße 28a verlegt – in Erinnerung an das Schicksal jüdischer Kaufmannsfamilien in Göttingen.
Textilkaufhaus Gräfenberg
Beide Orte stehen in Verbindung mit einer Göttinger Unternehmerfamilie. Am Ort der heutigen C&A-Filiale betrieben die Familien Richard und Hugo Gräfenberg das Textilkaufhaus Louis Gräfenberg.
Urenkel kommen aus den USA
Bei der Verlegung werden zwei Urenkel von Meta Müller, geb. Gräfenberg, dabei sein. Auch kommen elf Mitglieder der Familie Gräfenberg aus den USA angereist
Familie Gräfenberg
Stolpersteine werden stets dort gesetzt, wo jüdische Mitmenschen wohnten, die von den Nazis verschleppt und meist in Konzentrationslagern getötet wurden. Die Geschichte, der ursprünglich aus Adelebsen stammenden Familien Gräfenberg ist eine tragische, auch, wenn nicht alle getötet wurden, steht ihr Schicksal exemplarisch für das Leid, dass die Nazis über jüdische Menschen, auch in Göttingen und der Region, brachten.
Pogromnacht-Gedenken
Daran erinnerten kürzlich auch die Schülerinnen und Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums und Lehrer Mathias Behn während der von ihnen gestalteten Feierstunde am Platz der Synagoge zur Pogromnacht am 9. November 1938. „Auch die Überlebenden schreckliches Leid durch das Vorgehen der Nazis erleiden mussten.“
Geschäft 1935 verkauft
1875 eröffneten die Gräfenbergs in der Weender Straße 39 ein Bekleidungsgeschäft. Selbst nach der Weltwirtschaftskrise beschäftigt das Unternehmen 1933 noch mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am 28. März 1933 werden Scheiben eingeworfen, auch Hugo Gräfenbergs Wohnung in der Baurat-Gerber-Straße wird überfallen. Das massive Vorgehen der NSDAP gegen jüdische Geschäftsleute aber zeigt auch bei den Gräfenbergs schnell Wirkung: 1935 wird das Geschäft unter Wert zwangsverkauft.
Kummertod
Von diesen Drangsalierungen schwer gezeichnet stirbt Hugo Gräfenberg gebrochen im Juni 1934, seine Frau im Dezember. Sie werden nur 64 und 55 Jahre alt.
Und es gibt weitere Opfer in der Großfamilie: Hugos Schwiegermutter, Anna Rosenberg, überlebt ihre Tochter Amalie und den Schwiegersohn. Sie wird 1942 deportiert – nach Theresienstadt ins KZ. Dort stirbt sie mit 85 Jahren sieben Monate später. Ihr Bruder Alfred stirbt im Ghetto von Riga.
Dank Ehefrau überlebt
Richard Gräfenberg überlebt, wird nicht deportiert, weil er mit der Nicht-Jüdin Helene verheiratet ist. Die Wohnung Gräfenbergs in der Planckstraße 12 ist nach dem Krieg Anlaufpunkt für viele Juden, vor allem für jene, die aus Osteuropa zurückkehren und für Mitglieder der jüdischen Gemeinde und meist Verwandte suchen, oft nicht finden. Es ist das Schicksal unzähliger, unschuldiger Menschen jüdischen Glaubens nach dem Krieg und der Verfolgung durch die Nazis. (tko)
Stolpersteinverlegung am 09.12.2019, 10 Uhr, Museum
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
mein Name ist Petra Broistedt. Ich bin Kulturderzernentin der Stadt Göttingen und habe heute die Ehre, Sie im Namen der Stadt Göttingen herzlich begrüßen zu dürfen. Ein besonderes Willkommen gilt unseren Gästen aus Übersee, den Nachkommen der ehemaligen Göttinger jüdischen Familie Gräfenberg. Unter uns sind Richard und Lilian Gray mit Kindern und Cousins. Ich freue mich sehr, dass Sie den weiten Weg von der Ostküste der Vereinigten Staaten (einige von Ihnen sogar von der Westküste) auf sich genommen haben, um heute unsere very important persons zu sein.
Wir verlegen heute zum fünften Mal Stolpersteine, um an jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erinnern, die hier in Göttingen Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt haben und durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 verfolgt, verhaftet, gefoltert und in vielen Fällen auch deportiert und ermordet worden sind. Wir erinnern heute an das Leid der Betroffenen, die diesem Unrecht und der Brutalität der Deutschen schutzlos ausgeliefert waren. Das war eine Katastrophe für die Betroffenen. Und die Katastrophe war umso schrecklicher und unbegreiflicher, weil Jüdinnen und Juden in den ersten zwei Jahrzenten des 20. Jahrhunderts so fest in die deutsche Gesellschaft integriert schienen, wie in fast keinem anderen Land Europas – auch in Göttingen. Für mich persönlich ist der Kulturbruch nach 1933 auch deshalb so tief, weil die Verfolgung, Beraubung und Ermordung von Menschen jüdischen Glaubens nicht „nur“ das Werk einer Gruppe (der Nazis) war, sondern die gesamte deutsch-nichtjüdische Gesellschaft davon profitierte. Beleg hierfür ist unter anderem die umfassende sog. „Arisierung“, also der widerrechtliche Raub von Eigentum von Jüdinnen und Juden sowie anderen Opfergruppen.
Die Verantwortung für uns heutige Deutsche ist ungeheuer groß! Göttingen stellt sich dieser Verantwortung. Die Erinnerung an die Göttinger Opfer des Nationalsozialismus und ihre Ermordung ist zentraler Bestandteil der Göttinger Erinnerungskultur. Einige Schritte in Richtung Aufarbeitung und Versöhnung sind wir bereits gegangen. Lassen Sie mich nur drei Beispiele nennen: 1973 haben wir das Synagogenmahnmal am Platz der Synagoge eingeweiht. Seitdem erinnern wir in jährlichen Gedenkstunden am 9. November an die Zerstörung sowohl der Synagoge als auch etlicher Geschäfte jüdischer Einwohnerinnen und Einwohner in der Reichsprogramnacht von 1938. Diese Gedenkstunden sind äußerst gut besucht. Sie werden von Schülerinnen und Schülern Göttinger Schulen vorbereitet und sind jedes Jahr traurige, aber auch bewegende Momente der Versöhnung und des Miteinanders. 2007 haben wir das Stadthaus in der Gotmarstraße (Stadtbibliothek) zu Ehren des vermutlich jüngsten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, des Göttingers Thomas Buergenthal, in Thomas-Buergenthal-Haus umbenannt. Damit erinnert die Stadt Göttingen an die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft am jüdischen Volk und mahnt – ganz im Sinne Thomas Buergenthals – zu Dialog, gegenseitiger Wertschätzung, Toleranz und Völkerverständigung. Sie zeigt damit auch, dass jüdisches Leben und der jüdische Glauben zu Göttingen gehören, einen Platz in unserer Stadt haben. Das finde ich persönlich angesichts der widererstarkenden rechtsextremen, rechtsradikalen und antisemitischen Tendenzen auch in unserer Stadt (ich erinnere hier an Hakenkreuzschmierereien am Synagogenmahnmal und vor der Universität sowie den feigen Brandanschlag auf eine Göttinger Wohngemeinschaft) sehr wichtig. Seit 2013 verlegen wir Stolpersteine. Mit den Stolpersteinen zeigt Göttingen, dass die Stadt sich der Verantwortung für das von den Nationalsozialisten begangene Unrecht stellt. Es gab eine Unterbrechung von 3 Jahren, in der die Praxis der Stolpersteinverlegung in Göttingen intensiv und zum Teil auch kontrovers diskutiert worden ist. Am Ende haben wir uns auf einen Kompromiss verständigt: Die Verlegung erfolgt nur, wenn die Nachkommen zustimmen. Das haben unsere Gäste getan. Dafür ist die Stadt Göttingen sehr dankbar. Deshalb können wir die bereits vorhandenen 37 Stolpersteine heute um weitere 17 ergänzen. Und ich freue mich besonders, dass dies in Anwesenheit der Nachkommen der Familie Gräfenberg geschieht. Liebe Gäste, Sie haben mit Ihrem heutigen Besuch in Göttingen im konkreten und übertragenen Sinn einen Schritt auf uns zu getan. Dafür herzlichen Dank.
Die Verlegung erfolgt in Kooperation der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, dem Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e. V. und der Stadt Göttingen.
Wir verlegen heute Stolpersteine an zwei Orten: in der Weender Straße 19/21, dem Standort des ehemaligen, prächtigen Kaufhauses Ihrer Vorfahren, und in der Bühlstraße 28a, dem Wohnhaus von Meta Müller, geborene Gräfenberg und der Familie Eisenstein und Rosenberg. Dazu erfahren wir bei den Verlegungen gleich mehr.
Nach der Verlegung gegen 13.00 Uhr laden wir Sie herzlich zu einem Imbiss hier im Museum ein. Sie haben heute im Museum und auch in unserem Außendepot Gelegenheit, die Dinge anzusehen, die Ihre Vorfahren dem Göttinger Museum freiwillig überlassen haben. Diese freiwillige Überlassung ist ein Zeichen dafür, dass die jüdischen Einwohnenden Göttingens um 1900 das Städtische Museum auch als ihr Museum betrachteten, dass sie sich ganz in die deutsche Gesellschaft integriert fühlten. Das war, wie sich wenige Jahrzehnte später zeigen sollte, ein tragischer Irrtum. Umso wichtiger ist es, dass die Objekte im Museum aufbewahrt und hoffentlich- nach einer Sanierung - auch bald wieder der Öffentlichkeit gezeigt werden können, um die Erinnerung an die Vergangenheit wach zu halten. Denn: das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich nun auf eine Ansprache aus dem Kreis unserer Gäste.
Meine Damen und Herren, liebe Angehörige der Familie Gräfenberg, dear members oft he Gräfenberg family – guten Tag und Shalom.
Ich begrüße Sie im Namen des Göttinger Geschichtsvereins zur Verlegung von 9 Stolpersteinen an dieser Stelle.
Wir verlegen hier und heute Stolpersteine für die Familie Gräfenberg; für Hugo und Amalie, für Anneliese und Carl, für Richard und Helene, für Walter und Erika sowie für Anna Rosenberg.
Wenn ich sage „wir verlegen“ meint das in erster Linie den Künstler Gunter Demnig, der das Verlegen von Stolpersteinen vor mehr als 25 Jahren als Kunstprojekt begonnen hat und der seither mehr als 70 000 Stolpersteine europaweit verlegt hat. Er verstand seine Arbeit zunächst als eine Form der Erinnerungskunst, die sich bewusst gegen die monumentalen Mahnmale des Staates wendet und die die Erinnerung an das einzelne Opfer – und nach und nach an jedes einzelne Opfer – in unseren Alltag und in unsere Gegenwart zurückholt.
Die Formulierung „wir verlegen“ bezieht aber bewusst auch uns mit ein: zunächst die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und den Göttinger Geschichtsverein, die gemeinsam mit der Stadt Göttingen das Projekt tragen und von einer Gruppe von Fachleuten bei den Recherchen unterstützt werden, und die Schülerinnen und Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums, die zusammen mit ihrem Lehrer Matthias Behn Kurzbiographien der zu ehrenden Personen erarbeitet haben und hier vortragen werden.
„Wir verlegen“ meint aber darüber hinaus auch die Angehörigen und Nachkommen der heute hier geehrten Opfer des Nationalsozialismus, die eigens für diese Feierstunde aus den Vereinigten Staaten angereist sind:
Richard und Lilian Gray
Rebecca Gray und ihr Ehemann Seamus
Ayden, Amiya und Jessica Gray, ihre Kinder
Ariel und Max Sussmann
Ruth Palacio
Irene Stadt und Lorraine Geaudreau
a warm welcome to all of you. We are thankful and proud that you have come to Göttingen.
Schließlich und nicht zuletzt umschließt das „wir“ die Paten der einzelnen Steine und Sie alle, die heute zu dieser Stolpersteinverlegung gekommen sind und dadurch eine beeindruckende Öffentlichkeit herstellen. Sie repräsentieren das Göttingen von heute und stellen es dem Göttingen von damals entgegen, das die Bedrängnis und Verfolgung der jüdischen Mitbürger hingenommen oder sogar befördert hat. Durch Ihre Anwesenheit geben Sie der Stolpersteinverlegung einen würdigen Rahmen und zeigen, dass die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, die ehrende Erinnerung an die Opfer der Gewaltherrschaft ein Anliegen und eine Aufgabe sind, mit der sich die Göttinger Zivilgesellschaft ausdrücklich identifiziert.
Lassen Sie mich mit einem Gedanken schließen, mit dem sich auch der „Zentralrat der Juden in Deutschland“ ausdrücklich für das Projekt der Stolpersteine ausspricht. Ich zitiere: „Durch die Stolpersteine kommen die Menschen im Alltag mit dem Thema – für sie überraschend und unvorhergesehen – in Berührung. Stolpersteine verdeutlichen, dass jene Menschen, die grausam ermordet wurden, mitten unter uns gelebt haben und dass ihre Entrechtung und Verfolgung vor aller Augen passiert ist. Durch das Lesen der Inschriften der Messingsteine verbeugen wir uns wortwörtlich vor den Menschen, die dem Nationalsozialismus zum Opfer fielen.“
Heute verlegen wir auf der Weender Straße Stolpersteine für die Familien Richard und Hugo Gräfenberg. Obwohl die meisten Mitglieder dieser ursprünglich aus Adelebsen stammenden Familien nicht in den Ghettos im Osten starben oder in den Vernichtungslagern ermordet wurden, ist ihr Schicksal doch eindringlich und exemplarisch für das Leid, das die Verfechter nationalsozialistischen Rassenwahns über jüdische Bürger der Stadt Göttingen brachten. Es ist ein Beleg dafür, dass die Göttinger Mitbürgerinnen und Mitbürger damals nicht willens oder in der Lage waren, diese Menschen zu schützen. Wir möchten im Rahmen dieser Gedenkstunde an die Brüder Hugo und Richard Gräfenberg und ihre Familien erinnern und glauben, dass das Schicksal dieser Menschen für sich spricht.
We are glad to have among us here today direct ancestors of the Gräfenberg family. We would like to welcome them in the warmest way possible. The fact that they came all the way to be present at this ceremony is both deeply moving and encouraging. It is indeed a sad reminder of what Germany has lost by pursuing a policy towards her own Jewish citizens for which barbarism would be too positive a category. But it is also a proof that Jewish life has not been destroyed, and that Jewish people have enough confidence in Germany to come here to seek the historical roots of their families and to make sure that the youngest generation is made aware of that family history. It is very good to have you here today.
Die Wurzeln des einst die Göttinger Innenstadt mit prägenden Kaufhauses Gräfenberg liegen im Jahr 1864 – seit 1875 hat das Bekleidungsgeschäft seinen Sitz in der Weender Straße 39. In zweiter Generation wird es von den beiden Brüdern Richard und Hugo Gräfenberg geführt, die es zum beliebtesten Textilkaufhaus der Stadt machen, das auch überregional Kunden anzieht und mit moderner Werbung und Präsentation außerordentlich erfolgreich operiert. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 trifft das Familienunternehmen hart, aber der Betrieb kann trotz der wirtschaftlichen Depression erhalten werden. 1932 beschäftigt er noch über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Unmittelbar nachdem Hitler zum Reichskanzler ernannt wird, beginnt der koordinierte Angriff der Göttinger NSDAP und der Sturmabteilungen auf die Firma. Die Kundschaft zieht sich unter dem Eindruck von Verleumdungskampagnen gegen die Gräfenbergs und nach direkten Angriffen auf das Geschäft nicht sofort zurück, aber öffentlichen Widerspruch gegen das offensichtliche Unrecht erhebt niemand. So wird den Brüdern Gräfenberg und ihren Familien ihre bürgerliche und wirtschaftliche Existenz genommen – das Kaufhaus wird schon 1936 zu einem viel zu geringen Preis und unter Zwang veräußert, 1950 noch einmal an den vormaligen Besitzer zurückgegeben und nur zehn Tage später an die Firma Hettlage, heute „C&A“, verkauft. Wir berichten im Folgenden über die Menschen, deren Lebenswerk auf die eben beschriebene Weise zerstört wurde.
Hugo Gräfenberg wird 1872 als Sohn von Carl und Johanna Gräfenberg geboren. Verheiratet mit Amalie Gräfenberg, ist er ein angesehener Kaufmann in Göttingen. Zusammen mit seinem Bruder Richard betreibt er das Textilkaufhaus seines Vaters und Onkels auf der Weender Straße. Nachdem die Brüder ihre Ausbildung als Handelsgehilfen absolviert haben, reisen sie viel im Ausland, um Geschäftskontakte zu knüpfen und neue Geschäftsideen zu entwickeln: Das „Kaufhaus“ ist damals noch ein neues Konzept. Ab 1933 wird das Geschäft zur Zielscheibe nationalsozialistischer Agitation: Es gibt mehrere Boykottversuche gegen die Gräfenbergs, welche dazu führen, dass der Ertrag sinkt. Am 28. März 1933 werden Scheiben des Kaufhauses von SA-Männern eingeworfen, auch Hugos Wohnung in der Baurat-Gerber-Straße wird überfallen. Die Kampagne gegen die Familie geht danach weiter. Angestellte werden unter Druck gesetzt, damit sie die Brüder in der Öffentlichkeit unlauterer Praktiken bezichtigen. Von der Kampagne schwer getroffen verstirbt Hugo Gräfenberg am 13.Juni 1934, seine Frau im Dezember 1934 – er ist 61, sie nur 55 Jahre alt.
Die Schwiegermutter von Hugo Gräfenberg, Anna Rosenberg, überlebt ihre Tochter Amalie und ihren Schwiegersohn. Sie wird im Juli 1942 als 84-jährige über Hannover-Ahlem nach Theresienstadt deportiert, wo sie sieben Monate später stirbt. Bruder Alfred, der schon vor langer Zeit nach Berlin-Schöneberg verzogen ist, wird von dort Anfang 1942 verschleppt und stirbt im Rigaer Ghetto, seine Frau Gertrud hatte sich schon 1940 das Leben genommen. Hugos Kinder Carl und Anneliese werden 1935 vorübergehend verhaftet. Die Anklage lautete auf „illegale Devisenschiebereien“ – eine höchst fragwürdige Anschuldigung einer der Diktatur längst hörigen Justiz; Anneliese und Carl müssen für neun Monate ins Gefängnis. Kurz nach der Pogromnacht von 1938 emigriert Carl völlig mittellos nach Palästina. Dadurch kann er sich gerade noch der Verhaftung entziehen. Mit seiner Frau Rahel wandert er 1956 endgültig nach San Francisco aus, nachdem er zuvor noch einmal drei Jahre in Göttingen gelebt, sich aber nicht mehr zurechtgefunden hat. Seine Schwester Anneliese, die 1937 mit ihrem Verlobten Irtak J. Dikstein in die CSR emigriert, kann hingegen nicht aus dem deutschen Herrschaftsbereich entkommen: Sie wird mit ihrem Mann und ihrem 1938 geborenen Sohn Peter 1942 von Poděbrady (östlich von Prag) zunächst nach Theresienstadt deportiert. Alle drei werden 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Richard Gräfenberg wird am 22. September 1870 in Göttingen geboren. Er hat – wie sein Bruder - im Familienbetrieb die Ausbildung zum Handelsgehilfen durchlaufen und während vieler Reisen, vor allem in den USA und den dortigen Warenhäusern Erfahrungen von großem Wert gesammelt. 1901 übernehmen Hugo und Richard den Betrieb vollständig. Richard wohnt zusammen mit seiner zweiten Frau Helene und seinen beiden Kindern Erika und Walter, welche aus seiner ersten Ehe stammen, in der Planckstraße 12. Es ist die Ehe mit Helene, einer nicht-jüdischen Deutschen, die ihn später vor der Deportation und dem Tod bewahrt, weil seine Frau trotz aller Repressalien zu ihm steht.
Auch Richard ist durch die Boykotthetze der Nationalsozialisten ab 1933 traumatisiert. Obwohl die Familie und ihr Kaufhaus angesehen sind und das Vertrauen und die Loyalität ihrer Kunden haben, reicht die durchaus vorhandene Empörung Göttinger Bürger nicht, um gegen die NS-Ideologie und die sich aggressiv inszenierende Volksgemeinschaft standzuhalten. Der Wunsch der Bevölkerung nach Karriere, Anerkennung und Eigenschutz ist zu groß und überwältigt das Mitgefühl und die Treue gegenüber der jüdischen Familie Gräfenberg, sofern man denn Empathie aufbrachte. Aufgrund wiederholter Demütigungen und Anschuldigungen fliehen die Gräfenbergs vorsichtshalber für eine Woche aus Göttingen; 1935 gibt Richard das Geschäft verzweifelt auf. Drei Jahre später, in der Nacht des 9./10. Novembers, stürmt ein Rollkommando der SS Richard Gräfenbergs private Wohnung und zerstört die Einrichtung, wobei ein Schaden von 10.000 Reichsmark entsteht. Zusätzlich rauben die SS-Männer einige Wertgegenstände aus der Wohnung. Richard und seine Frau werden anschließend zunächst ins Polizeigefängnis gebracht; sie wird am Vormittag des 10.11. zusammen mit den festgenommenen Jüdinnen entlassen, er wird mit vielen anderen Juden in das Gerichtsgefängnis in Reinhausen gebracht. Er kommt im Gegensatz zu anderen nach einer Woche frei, nachdem sein Arzt in Reinhausen erschienen war und ihm bescheinigt hatte, dass er nicht haftfähig sei.
Ende 1939 – die Kinder Erika und Walter sind noch rechtzeitig emigriert - wird den Gräfenbergs verweigert, ihr Wohnhaus mit einer Hypothek zu belasten. Sie nehmen weitere Juden, zumeist alleinstehende Frauen, unter ihnen Anna Rosenberg, dort auf, die 1942 von dort deportiert werden. Dank seiner nichtjüdischen Ehefrau bleibt Richard dieses Schicksal erspart, obwohl es immer wieder Bestrebungen gibt, auch ihn in den sicheren Tod zu schicken. Als Anfang 1945 seine Deportation nach Theresienstadt betrieben wird, wird der 74-Jährige aufgrund von Krankheit für nicht transportfähig befunden.
Nach dem Krieg ist Richard Gräfenberg in der Planckstraße 12 der wichtigste Anlaufpunkt für die wenigen Juden, die aus Osteuropa zurückkehren und für Angehörige ehemaliger Göttinger Gemeindemitglieder, die ihre Verwandten - zumeist vergeblich - suchen. Er hält die Reste der jüdischen Gemeinde zusammen, aber seine alte Welt ist unwiederbringlich untergegangen: Von der ehemaligen jüdischen Gemeinde Göttingens, die 1933 noch 475 Personen zählte, hat mit ihm nur ein einziger vor Ort ausgeharrt und überlebt. (Drei vom Regime gleichfalls als „Volljuden“ eingestufte Göttinger gehören nicht der Synagogengemeinde an. Sie waren vor langer Zeit im Zusammenhang mit ihrer Heirat zum Protestantismus konvertiert.)
Sehr geehrte Familie Gray,
sehr geehrte Jan Jaben-Eilon,
sehr geehrter Joab Eichenberg-Eilon,
sehr geehrte Lori Brown,
sehr geehrter Ronald Brown,
liebe Paten,
liebe Mitwirkende in der Vorbereitung und Gestaltung dieser Stolpersteinverlegung, liebe Schülerinnen und Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums,
lieber Vorsitzender des Geschichtsvereins Peter Aufgebauer,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Bei der Verlegung der Stolpersteine für Meta Müller geb. Gräfenberg sowie für deren Töchter Ilse (verheiratete Eisenstein) und Rosa Luise (verheiratete Rosenberg) und weitere Mitglieder der Familien Doetzer-Berweger die Geschichte dieser beiden Familien anhand des biografischen Anhangs aus seinem Eisenstein (Gustav, Inge und Ruth) und Rosenberg (Gerd und Ursula) stellte der Historiker Dr. Oliver Doetzer-Berweger sein Buch vor, ergänzt durch Zitate aus einigen Briefen.
Zur Dokumentation der Lebensgeschichten im Kontext der Stolpersteinverlegung dienen im Folgenden die biografischen Skizzen zu den Familien Rosenberg und Eisenstein, mit Genehmigung des Autors (und ergänzt um kleine aktualisierende Korrekturen) entnommen aus: Oliver Doetzer: „Aus Menschen werden Briefe“. Die Korrespondenz einer jüdischen Familie zwischen Verfolgung und Emigration 1933-1947, Böhlau Verlag 2002, S. 270ff.
Es wurde die Geschichte der gesamten Großfamilie vorgestellt, doch Stolpersteine wurden nur verlegt für diejenigen Familienmitglieder, die ihren letzten frei gewählten Wohnsitz in der Bühlstraße 28a hatten. Die Namen dieser Familienmitglieder werden in der folgenden Vorstellung unterstrichen.
Georg Rosenberg
geb. 19. September 1878 in Hildesheim — gest. 12. August 1942 im Ghetto Lodz
Georg Rosenberg wurde am 19. September 1879 in Hildesheim als Sohn des Kaufmanns Julius Rosenberg und seiner Frau, deren Vorname unbekannt ist, geboren. Sein Bruder Gus[tav] Rosenberg, emigrierte um 1890 in die USA und wurde in Vallejo, Kalifornien, Mitinhaber des Kaufhauses „Levee‘s Department Store”. Sein Bruder Adolf Rosenberg ergriff ebenfalls den Beruf des Kaufmanns. Er hatte noch zwei Schwestern: Else und Anna.
Nach dem Besuch des Gymnasiums in Hildesheim absolvierte Georg Rosenberg eine Banklehre in Hamburg. Gern hätte er Jura studiert und wäre Rechtsanwalt geworden, aber die finanziellen Umstände der Eltern ließen dies nicht zu. Er heiratete erst im Alter von 35 Jahren am 22. März 1914 die neunzehnjährige Rosel Müller. Mit ihr hatte er vier Kinder. Im Ersten Weltkrieg diente er vier Jahre als Feldsoldat und wurde mit dem »Eisernen Kreuz” 2. Klasse ausgezeichnet. Seine letzte berufliche Position war die eines Bankdirektors bei der Commerz-Bank AG in Wetzlar. Er wurde zum 1. Juli 1934 im Alter von 55 Jahren pensioniert, die Bank zahlte seine Pension bis zu seiner Deportation.
Zum 1. Juli 1934 zog die Familie Rosenberg von Gießen nach Göttingen in eine Wohnung Ilse Eisensteins in der Bühlstraße 28 a, doch bereits zum 21.6.1935 wurden Georg und Rosel Rosenberg (er aus Gießen, sie aus Göttingen kommend) in Frankfurt a. M. im Oederweg 96 angemeldet. Zum Mai 1936 zog Ilse Eisenstein mit ihren Töchtern ebenfalls dorthin. Während des Pogroms vom 10. November 1938 wurde Georg Rosenberg in der Frankfurter Festhalle inhaftiert. Ab dem 12. Mai 1941 musste er Zwangsarbeit bei der Firma „Voltohm Seil- und Kabelwerke AG” in Frankfurt leisten. Mit dem ersten Transport aus Frankfurt wurde er am 19. Oktober 1941 nach Lodz deportiert, seine letzte Postkarte schickte er auf der Fahrt aus Posen. Die genauen Umstände seines Todes im Ghetto Lodz am 12. August 1942 sind ungeklärt.
Rosa Luise [Rosel] Rosenberg geb. Müller
geb. 25. Mai 1894 in Göttingen — gest. 10. März 1939 in Frankfurt a. M.
Rosel Müller wurde am 25. Mai 1894 als Tochter des Bankiers Hermann Müller, Mitinhaber des Bankhauses Benfey, und seiner Frau Meta, geb. Gräfenberg , in Göttingen geboren. Ihr Vater starb am 25. Mai 1910, ihre Mutter am 18. September 1935. Von 1900 bis 1911 besuchte sie das Städtische Oberlyzeum in Göttingen. Mit neunzehn Jahren heiratete sie 1914 den 16 Jahre älteren Bankdirektor Georg Rosenberg. Ihre Söhne Hermann und Kurt wurden 1915 und 1916 geboren. Diese musste sie allein versorgen, da ihr Mann Kriegsteilnehmer war. Sie beschrieb diese Zeit als sehr schwer und entmutigend. Die Zwillinge Ursula und Gerd kamen 1921 zur Welt. Gerds Zuckerkrankheit, die 1930 diagnostiziert wurde, stellte für Rosel Rosenberg eine zusätzliche psychische und physische Belastung dar. Sie war gemäß den bürgerlichen Konventionen und da auch keine ökonomische Notwendigkeit bestand, nicht erwerbstätig. Im Laufe des Jahres 1938 kam es wiederholt zu Gallenkoliken, sieverbrachte längere Zeit im Krankenhaus. Am 10. März 1939 starb sie im Alter von 44 Jahren an einer Embolie.
Deren Kinder:
Hermann Rosenberg
geb. 03. Januar 1915 in Göttingen — gest. 27. Juli 1984 in San Francisco
Hermann Rosenberg wurde als erstes Kind der Familie Rosenberg am 03. Januar 1915 in Göttingen geboren. Über seine schulische Ausbildung ist nichts bekannt. Der erste Hinweis auf seine Berufstätigkeit als Bankkaufmann bei der Filiale der Genossenschaftsbank IWRIA in Chemnitz befindet sich auf einer Postkarte vom 16. September 1935. Am 28. Dezember 1936 emigrierte Hermann in die USA.65 Sein Onkel Gus(tav) Rosenberg, der das Affidavit stellte, beschäftigte ihn in seinem Kaufhaus in Vallejo, Kalifornien als Angestellten. Im Jahr 1938 besuchte er für mehrere Monate eine Handelsschule in San Francisco. Am 21. Juni 1937 beantragte er mit einer Declaration of Intention” die amerikanische Staatsbürgerschaft, am 14. August 1943 wurde er ,,naturalisiert.” Im Januar 1942 wurde er in die US- Army eingezogen. Nach dem Tod seiner Mutter brach er den Briefkontakt mit seinem Vater fast gänzlich ab und schrieb auch seinen Geschwistern selten. Als Testamentsvollstreckerin nach seinem Tode am 27. Juli 1984 fungierte seine Schwester Ursula.
Kurt J.[ulius] Rosenberg geb. 04. Februar 1916 in Göttingen — gest. 20. April 1944 im Mittelmeer vor Kap Bengut, Algerien
Kurt Rosenberg wurde am 4. Februar 1916 in Göttingen als zweites Kind der Familie Rosenberg geboren. Auch über seine schulische Laufbahn ist nichts bekannt. In Wetzlar absolvierte er ab April 1934 eine Ausbildung zum Feinmechaniker bei der Firma Leitz, Hersteller der Leica Kamera. Die Gesellenprüfung durfte er nicht mehr ablegen, er blieb aber nach dem Ende seiner Ausbildung am 4. April 1937 in der Firma. Er war ein ambitionierter Hobbyfotograf, der später Fotodokumentationen über sein Leben und den Arbeitsalltag in den USA anfertigte und an seine Eltern schickte. Am 2. Februar 1938 verließ er Deutschland und arbeitete nach seiner Ankunft in den USA bei der Ernst Leitz Inc. in New York als Kamerareparateur und später für Leitz in San Francisco. Im Frühjahr 1939 wechselte er in die deutschstämmige Foto- und Optikfirma Spindler and Saupe Inc. in San Francisco, im Frühjahr 1942 zog er mit der Firma nach Los Angeles um und lebte in einem YMCA-Heim. Ende Oktober 1943 wurde er „naturalisiert”.
Seine minderjährigen Geschwister Ursula und Gerd, die er schon während ihres Zwischenaufenthalts in Großbritannien finanziell unterstützt hatte, wohnten nach ihrer Ankunft in den USA am 12. März 1940 mit ihm in seiner Wohnung in San Francisco. Ab April 1943 nahm er als Bordfotograf in der US-Airforce am Zweiten Weltkrieg teil und starb im Alter von 28 Jahren am 20. April 1944 beim Untergang eines Truppentransportschiffes vor der algerischen Küste.
Gerhard (Gert, Gerd] Rosenberg
geb. 24. August 1921 in Fulda — gest. 26. Mai 1940 in San Francisco
Gerd Rosenberg wurde am 24. August 1921 in Fulda geboren, seine schulische Ausbildung fand nach der Grundschule auf einem Göttinger und bis September 1937 einem Frankfurter Gymnasium statt. Anschließend arbeitete er ab dem 1. November 1937 bis zum März 1939 bei dem jüdischen Fotografen D. Spier in Frankfurt als Volontär. Im Alter von neun Jahren wurde ein Diabetes diagnostiziert, der ihn immer wieder zu längeren Krankenhausaufenthalten zwang, in denen er auf eine bestimmte Insulindosis eingestellt wurde. Seine Mutter starb, als er 17 Jahre alt war.
Am 8. Juli 1939 verließ er Frankfurt mit seiner Zwillingsschwester Ursula mit einem „Kindertransport” nach Großbritannien. Sie lebten in Brighton in der Familie eines Verwandten, des emigrierten Braunschweiger Professors für Betriebswirtschaftslehre Friedrich Meyenberg.
Am 12. März 1940 reisten die Geschwister weiter zu ihrem Bruder Kurt in San Francisco und lebten in seiner Wohnung. Gerd Rosenberg hatte große Probleme, sich psychisch auf die neue Situation ohne seine Eltern und physisch auf das amerikanische Insulin einzustellen, schon in Brighton musste er auf Grund einer Verschlechterung seines Diabetes längere Zeit im Krankenhaus verbringen. Am 26. Mai1940, einen Tag nach dem Geburtstag seiner Mutter, nahm er sich in der Wohnung seines Bruders das Leben.
Ursula Rosenberg
geb. 24. August 1921 in Fulda — in den USA verstorben
Die am 24. August 1921 in Fulda geborene Ursula Rosenberg hatte wie ihr Zwillingsbruder nur noch eingeschränkte Möglichkeiten zu Schulbesuch und Ausbildung. Sie beendete ihre Schulzeit in einem Alter, das auf eine Mittelschulausbildung schließen lässt. Ab dem 01. Mai 1937 absolvierte sie eine halbjährige Ausbildung in Hauswirtschaft in einem jüdischen Kinderheim in Bollschweil, das eine Verwandte leitete. Danach lernte sie in Frankfurt Damenschneiderei und die Anfertigung von Papierblumen. Sie emigrierte zusammen mit ihrem Bruder Gerd. Nach der Ankunft in den USA und dem Suizid ihres Bruders Gerd wurde ihr Kontakt zu den anderen Familienangehörigen immer sporadischer. Sie zog bei ihrem Bruder Kurt aus, arbeitete in einem Drugstore und änderte ihren Namen. Sie starb vor einigen Jahren in den USA.
Rosel Rosenbergs Schwestern
Else [Ilse)] Eisenstein geb. Müller
geb. 14. September 1895 Göttingen — 24. September 1942 deportiert
Ilse Eisenstein wurde am 14. September 1895 als zweite Tochter von Meta und Hermann Müller geboren. Von 1902 bis 1913 besuchte sie das Städtische Oberlyzeum in Göttingen. Sie absolvierte eine Ausbildung als Krankenschwester und heiratete den über 20 Jahre älteren Gustav Eisenstein aus Beverungen, der am 16. März 1934 auf einer Geschäftsreise in Berlin starb. Ihr Sohn Walter starb 1927, sieben Monate nach der Geburt. Sie konnte mit ihren beiden Töchtern von den Einkünften aus ihrem Immobilienbesitz in Göttingen und Berlin leben. Am 8. Mai 1936 zogen sie nach Frankfurt zu Rosenbergs ¡n die Wohnung. Ihre Töchter Ruth, geboren 06. März 1928, und Inge, geboren 24. Januar 1930, wurden mit ihr am 24. September 1942 nach Estland deportiert. Dort wurden alle drei mit großer Wahrscheinlichkeit schon in den nächsten Tagen in Kalevi- Liiva ermordet. Am 12. Februar 1948 erklärte sie das Amtsgericht Frankfurt a. M. für tot.
Margarete [Grete] Eichenberg geb. Müller geb. 11. Mai 1900 Göttingen — gest. 19. September 1992 in Jerusalem
Am 11. Mai 1900 wurde Grete Müller in Göttingen als jüngste Tochter der Familie Müller geboren. Auch sie besuchte von 1906 bis 1916 das Städtische Oberlyzeum in Göttingen. Im November 1933 wanderte sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern nach Palästina aus. Bis zur Gründung des Staates Israel war ihre Lebenssituation geprägt von Armut, häufiger Trennung von ihrem Mann, der in wechselnden Beschäftigungsverhältnissen den Lebensunterhalt der Familie verdiente, und der politisch unsicheren Lage. So lange wie es devisenrechtlich möglich war, wurde sie von ihren Schwestern aus Frankfurt finanziell unterstützt. Nach dem Krieg versuchte sie, den Kontakt zu den übriggebliebenen Familienmitgliedern wiederherzustellen. Sie starb 1992 in Jerusalem.
Rudolf [Rudi] Eichenberg geb. 25. Mai 1896 in Göttingen — gest. 15. März 1989 Jerusalem
Über Rudolf Eichenbergs Jugend ist aus den vorhandenen Materialien wenig zu erfahren. Er studierte vermutlich Jura in Hamburg. In Deutschland war er zuletzt als Direktor des ,,Bielefelder Kaufhauses” in Gütersloh beschäftigt. In Palästina wohnte er mit seiner Familie zuerst in Hedera auf der Plantage seines Bruders Dr. Walter Eichenberg, eines Agrarwissenschaftlers, der als Zionist schon in den 20er Jahren emigrierte. Er war in wechselnden, gefährlichen und schlecht bezahlten Beschäftigungen tätig. Im Zweiten Weltkrieg wurde er Staff-Sergeant in der Britischen Armee und arbeitete als Manager eines Offizierskasinos der Transjordan Frontier Force. Nach dem Krieg und der Gründung des Staates Israel stieg er zum Inspektor beim Controler of Light Industries auf und war für die israelische Textilindustrie zuständig. Er starb 1989 in Jerusalem.
Margarete und Rudolf Eichenbergs Kinder Marianne und Peter-Joachim wurden am24. März 1927 bzw. 05. August 1928 in Hannover geboren.
Marianne starb 1994, Peter-Joachim 1996 in Jerusalem.