Gemeinsam mit dem Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V. und der Stadt Göttingen:
Die erste Stolpersteinverlegung auf öffentlichem Grund in Göttingen am 17. März 2015 ab 14 h.
Stolpersteine wurden verlegt: in der Groner Str. 9 vier Stolpersteine für die Familie Katz: für Leopold und Mathilde Katz, die 1942 in das Ghetto Warschau deportiert und dort ermordet wurden, sowie ihre beiden Kinder Rosa und Ludolf, die vor der Reichspogromnacht in die USA fliehen konnten (14 h),
im Papendiek 26 fünf Stolpersteine für die Familie Asser: für Julius und Jenny Asser, ihre Kinder Kurt und Lissy und die Mutter von Jenny Asser Bertha Fernich, die zu fünft 1942 in das Ghetto Warschau deportiert und dort ermordet wurden (ca. 15 h),
in der Weender Landstraße 12 ein Stolperstein für Hermann Hirsch, der gedemütigt und entrechtet wurde und bereits 1934 in den Tod geflohen ist (ca. 16 h).
Fotos: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen sofern nicht anders bezeichnet
169-mal kommt das Wort „זכור“ (Sachor) in der Hebräischen Bibel vor, die die Christen gewöhnlich Altes Testament nennen. So zentral ist dieser Begriff. Gedenken - sich erinnern ist aber auch für unser gemeinsames gesellschaftliches Gedächtnis konstitutiv.
Sehr bald wird es niemanden mehr geben, den wir nach ihren und seinen Erinnerungen an den nationalsozialistischen Terror und an die Shoa fragen können. „An die Stelle der lebendigen Schilderung derer, die die Verfolgung miterlebt haben“, - so Dr. Heinrich Mussinghoff – „treten schriftliche Zeugnisse, Bilder, Gedenktage und Gedenkorte... Wenn nicht alles täuscht, dann hat dieser Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis bereits begonnen.“ (1) Der Auftrag: „Sachor – Erinnere Dich“ bleibt – für Juden, für Christen, für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt.
Gunter Demnig erinnert mit seinem Kunstprojekt „Stolpersteine“ an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohn- oder Arbeitsort Gedenktafeln aus Messing in den Bürgersteig einlässt. Inzwischen liegen STOLPERSTEINE in über 500 Orten Deutschlands und in mehreren Ländern Europas. 'Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist', zitiert Demnig den Talmud. Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten. (2)
Ich freue mich sehr, dass Sie alle heute zur Verlegung von 10 Stolpersteinen gekommen sind. Für alle Steine haben sich übrigens Paten aus unserer Stadt gefunden. Ganz herzlichen Dank!
Mit unserer Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit haben die Stadt Göttingen und der Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V. diese Verlegung vorbereitet. Für die gute Zusammenarbeit bedanke ich mich.
Ich begrüße für die Stadt Göttingen Bürgermeister Wilhelm Gerhardy, Stadträtin Dr. Dagmar Schlapeit-Beck, Hilmar Beck vom Fachbereich Kultur und Dr. Ernst Böhme vom Stadtarchiv – für den Landkreis Göttingen Landrat Bernhard Reuter. Die Mitglieder des Geschichtsverein -namentlich den Vorsitzenden Prof. Dr. Peter Aufgebauer – heiße ich herzlich willkommen und selbstverständlich auch die Mitglieder unserer Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit – namentlich Dr. Bettina Kratz-Ritter, die für uns federführend dieses Projekt betreut, - die Damen und Herren der vorbereitenden Arbeitsgruppe, - sowie unser Mitglied Liz Eck, die sich seit 2002 für Stolpersteine in unserer Stadt eingesetzt hat. Ich freue mich besonders, dass Mitglieder der Jüdischen Gemeinde da sind und begrüße die Vorsitzende Jacqueline Jürgenliemk. Herzlich willkommen Gunter Demnig und für die Musik Yoko Teuteberg.
Gleich nach meiner Rede wird Herr Demnig mit der Verlegung beginnen. Dann wird Dirk Mederer von der Supporters Crew 05 e.V. die Familie Katz vorstellen.
Es ist uns eine ganz besondere Ehre, dass Ralph Ibson mit seiner Verlobten Liz Anne und seiner Tochter Zoe zu diesem Anlass aus den Vereinigten Staaten zu uns nach Göttingen gereist ist. Ralph Ibson ist der Sohn von Rose Ibson, die unter ihrem Mädchennamen Rosa Katz hier in der Groner Straße 9 gelebt hat und 1937 vor den faschistischen Verfolgungen in die USA fliehen konnte.
Am vergangenen Sonntag wurde im Alten Rathaus die Ausstellung „Moment!“ eröffnet. Sie dient als Plattform für den Diskurs über Kulturen der Erinnerung und stellt letztlich die Frage: Welche Ereignisse und Personen sollen im sozialen Gedächtnis bewahrt werden. Wir sind der Überzeugung, dass an die verfolgten und ermordeten Opfer des Nazi-Regimes in Göttingen erinnert werden muss - nicht nur zentral am Mahnmal der Synagoge, sondern auch dezentral vor ihren früheren Wohn- und Arbeitsorten. Mit den ersten 10 Stolpersteinen auf öffentlichem Grund beginnen wir, diese Erinnerung in die Stadt einzuschreiben – auch zur Mahnung: Nie wieder!
Sachor – Erinnere Dich und Gedenke!
Heiner J. Willen, 17. März 2015 (1) Festrede von Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, bei der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit am 3. März 2013 in München, dbk Kaiserstraße 161 3113 Bonn, S. 2 (2) vgl. /http://www.stolpersteine.eu/start/
Leopold und Mathilde Katz Ludolf Katz Rosa Katz
Am 28. März 1933 steht Ludolf Katz vor dem Geschäft seiner Eltern. Vielleicht steht er exakt an dem Ort, an dem sich die Stolpersteine seiner Familie nun befinden. Er will die Übergriffe fotografisch festhalten, will bei den Behörden sein Recht als freier Bürger der Stadt einfordern. Ein Recht, welches die Juden zu diesem Zeitpunkt faktisch bereits verloren haben.
Hier, vor der Groner Straße 9, wird er von Angehörigen der SA angegriffen, verfolgt und in einem Hinterhof zusammengeschlagen. Später wird man behaupten, er habe den marodierenden Mob provoziert. Es ist der Beginn einer schlimmen Zeit für die Göttinger Juden, für die Familie Katz ...
Liebe Anwesende, liebe Angehörige der Familie Ibson,
als sich die Supporters Crew 05, der Fandachverband des 1. SC Göttingen 05, der Aufbereitung der jüdischen Geschichte von 05 annahm, geschah dies, um dem Vergessen zu begegnen. Ludolf Katz, der 15 Jahre lang Mitglied des Vereins war, und seiner Familie gilt hier und heute unser Gedenken:
Ludolfs Vater war Leopold Katz. Der 1875, in Alsfeld geborene Geschäftsmann, arbeitete in seiner Geburtsstadt im Manufakturwarengeschäft seines Vaters.
Ludolfs Mutter war Mathilde Apt. Sie wurde 1878 in Niederaula, als ältestes von sechs Mädchen geboren. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter lebte und arbeitete sie im Textilgeschäft ihrer Tante in Geismar.
Mathildes Schwester Fanny war es, die die beiden zusammen brachte.
1902, nach Leopolds Militärausbildung, heirateten sie und zogen nach Göttingen. Hier übernahmen sie das Manufaktur- und Textilgeschäft von Leopolds Verwandten in der Groner Str. 11.
1903 kam ihr Sohn Ludolf auf die Welt. In den folgenden Jahrzehnten erweiterte das Ehepaar die Geschäftsräume auch auf die Häuser mit der Nummer 10 und 9. Die 1905 erworbene Nummer 9 wurde zum ständigen Wohnhaus der Familie.
1911 wurde Ludolfs Schwester Rosa geboren. Sie erkrankte im Alter von zwei Jahren an Kinderlähmung. Dank der Hilfe eines Göttinger Spezialisten wirkte sich die Polio nur als leichte Behinderung aus. Sie schränkte die aktive Frau zeitlebens kaum ein. Für die Mutter war es jedoch eine schwere Zeit, denn sie führte während des Ersten Weltkriegs das Geschäft alleine.
Leopold Katz diente vier Jahre im deutschen Heer. Mit dem Ende des Kriegs ging es in der Groner Straße stetig aufwärts. Das Haus mit der Nummer 9 brummte vor Geschäftigkeit. Das Ehepaar Katz lebte hier nicht nur mit seinen Kindern, sondern beherbergte auch zahlreiche Lehrlinge.
Nach Ladenschluss wurde über Abrechnungen und Textilwaren gewerkelt und nicht selten sang Mathilde Katz mit schöner Stimme zur Zither. Ludolf besuchte das Realgymnasium, das heutige Felix-Klein-Gymnasium.
Rosa ging auf das Lyzeum, das heutige Hainberg-Gymnasium. Rosa hatte die musikalische Ader ihrer Mutter geerbt und studierte nach ihrer Schulzeit Musik in Kassel.
Später bestritt sie ihren Lebensunterhalt mit Klavierunterricht. Ludolf stieg in die Fußstapfen seiner Eltern und arbeitete bald im Göttinger Geschäft, bald in anderen Städten. Seine Leidenschaft galt dem Sport. Neben Tennis und Kegeln, widmete er sich insbesondere dem 1. Göttinger Sportklub von 1905. Außerdem leitete er den jüdischen Jugendverein der Stadt. Drei Jahrzehnte lang war die Familie Katz ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen und kaufmännischen Wirkens in Göttingen.
Leopold und Mathilde pflegten Freundschaften zu nichtjüdischen Familien und nahmen als Theaterabonnenten am kulturellen Leben der Stadt teil. Doch über diese guten Jahre legte sich ein Schatten. Antijüdische Stimmung machte sich in Göttingen breit. Die Stadt der Studentenbünde war ein Brutherd der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus. Mit der Machtergreifung wurde den Juden in Göttingen nach und nach der Zugang zum gesellschaftlichen Leben abgeschnürt.
Ablehnung, Hass und Gewalt machten das Alltägliche zur Tortur. Als er vom SA-Mob zusammen geschlagen wurde, war Ludolf Katz 29 Jahre alt. Seine Familie war eine deutsche Familie. Sein Vater war für Deutschland in den Krieg gezogen. Seine Mutter, seine Schwester und er hatten sich weit über das normale Maß in Göttingen engagiert.
Nichts von alledem zählte mehr.
Lange Zeit kämpfte die Familie darum, ihr gesellschaftliches Ansehen zu wahren. Ein hoffnungsloser Kampf, denn die Stadt und ihre Bürger brachten ihnen weder Respekt entgegen, noch ließen sie ihnen ihre Würde. Die Kinder von Leopold und Mathilde erkannten die fatale Entwicklung. Rosa Katz wanderte im Februar 1937 in die USA aus. Dort heiratete sie den deutsch-jüdischen Emigranten Kurt Ibson. Ihr Bruder Ludolf folgte mit seiner Frau Reneé, im Oktober 1938, nach. Die Eltern blieben in Göttingen. Sie wollte nicht wahrhaben, dass sie ihrer Existenz beraubt werden sollten. Alles was sie hatten, was sie waren, verbanden sie mit dieser Stadt, mit dieser Straße, mit diesem Haus.
Nur wenige Tage nach Ludolfs Emigration wurde in der Pogromnacht das Wohneigentum der Familie zerstört.
Später wurde das Ladeninventar an nichtjüdische Geschäfte verteilt. Leopold Katz verkaufte als einer der letzten Göttinger Juden sein Geschäft zu einem Spottpreis. Das Ehepaar musste beim neuen Eigentümer zur Miete leben. Rose und Ludolf versuchten verzweifelt sie aus dem Land zu bekommen. Doch es war zu spät. Als die Schiffstickets sie erreichten, herrschte Krieg und sie durften das Deutsche Reich nicht mehr verlassen.
Mathilde und Leopold Katz wurden am 26. März 1942 über Trawniki ins Warschauer Ghetto deportiert. Von dort schrieb Leopold seinen Kinder noch vom Tod ihrer Mutter durch Typhus. Er selbst blieb verschollen. Ludolf Katz starb am 14. August 1994 in Sarasota, Florida mit 91 Jahren. Seine Schwester Rose starb am 17. Februar 2013 in Rockville, Maryland im Alter von 100 und einem Jahr.
Als wir vor einem Jahr zu forschen begann, waren es Ludolfs Briefe, die einen Faden zur jüdischen Vergangenheit unseres Vereins woben. Ein Faden, der sich auch mit anderen Namen verbindet und schließlich zur Groner Straße 9 zurück führte: Wir wollen heute auch des Kaufmannslehrlings Julius Löwenstein gedenken. Er arbeitete und lebte hier im Geschäftshaus des Ehepaares Katz.
Julius Löwenstein wurde 1897 in Banteln geboren und entfloh mit seiner Frau dem nationalsozialistischen Terror nach Argentinien. Dort starb er am 17. Juli 1985 in Buenos Aires. Er erzählte seinen Kindern nie von Göttingen. Das erlebte Grauen ließ ihn verstummen.
Für uns, von der Supporters Crew 05, sind diese Stolpersteine nicht nur Gedenken, sondern auch eine Mahnung an gegenwärtige und kommende Generationen: „Bleibt wachsam, steht auf und ruft: „Nie wieder!“
Dirk Mederer, Supporters Crew 05 e.V. 17.03.2015
Sehr geehrter Herr Willen, sehr geehrte Frau Jürgenliemk, sehr geehrter Herr Prof. Aufgebauer, sehr geehrter Herr Demnig, sehr geehrte Herr Dr. Wolfgang Ram, sehr geehrte Damen und Herren,
zur ersten Verlegung von Stolpersteinen in Göttingen begrüße ich Sie im Namen der Stadt Göttingen sehr herzlich! Ich bin froh und glücklich, dass wir heute hier stehen, um auf diese beeindruckende Weise auch in Göttingen der von den Nationalsozialisten verfolgten, vertriebenen und ermordeten jüdischen Bürger unserer Stadt zu gedenken. Die heutige erstmalige Verlegung von Stolpersteinen in Göttingen ist auch für mich persönlich ein ganz besonderes großes Ereignis.
Am 22. September 2014 haben Sie Herr Dr. Ram mich angeschrieben und den Wunsch geäußert, dass für die Geschwister Lissy und Kurt Asser in Göttingen Stolpersteine verlegt werden sollen. Lissy und Kurt Asser wurden am 26. März 1942 aus Göttingen verschleppt. Sie waren die Enkel ihres am 20. September 1872 in Altona geborenen und nach Göttingen verzogenen Urgroßonkels Cäsar Asser. Aus Ihrer mütterlichen Familie Asser sind alleine in Hamburg und Göttingen siebzehn Mitglieder von den Nationalsozialisten ermordet worden. Sie hatten den Wunsch, den Kindern Lissy und Kurt Asser Stolpersteine zu stiften, um diese in ihrer ehemaligen häuslichen Umgebung vor dem Vergessen zu bewahren.
Herrn Dr. RAM hat irritiert, dass bisher in Göttingen keine Stolpersteine verlegt worden sind und dass hierzu die Zustimmung von Nachfahren und Angehörigen erforderlich ist.
Um diese Regelung zu verstehen, muss man die Vorgeschichte der Göttinger Diskussion über die Stolpersteine kennen:
Über die Verlegung von Stolpersteinen wird in Göttingen seit vielen Jahren intensiv und sehr kontrovers diskutiert. Von Befürwortern und Gegnern wurden und werden schwerwiegende, bedenkenswerte und sehr grundsätzliche Argumente für die jeweiligen Standpunkte vorgebracht. Wegen dieses grundsätzlichen Charakters der Diskussion war eine beide Seiten gleichermaßen zufriedenstellende Lösung der Frage lange Zeit nicht möglich.
Die jüdische Gemeinde Göttingen e.V. hat die Verlegung von Stolpersteinen stets unterstützt. Sie bezieht sich auch auf die theologische Stellungnahme von Herrn Rabbiner Dr. Gabor Lengyel von der liberalen jüdischen Gemeinde Hannover e.V. vom 24.7.2012. Der Rabbiner der liberalen jüdischen Gemeinden in Hannover und Göttingen befürwortet die Verlegung von Stolpersteinen. Unter anderem betont er, dass die Stolpersteine lediglich Erinnerungssteine seien und nicht auf einem Friedhof lägen. Eine der wichtigsten Grundlagen des jüdischen Glaubens sei der Begriff "Zachor", gedenke und erinnere! Die Stolpersteine hätten diesen Zweck. Zudem müsse man sich zum Lesen der Inschrift etwas bücken und verneige sich damit nachträglich symbolisch vor den Opfern.
Die jüdische Kultusgemeinde für Göttingern und Südniedersachsen e.V. hat Bedenken gegen die Verlegung von Stolpersteinen, da man die Erinnerung nicht mit Füßen betreten soll, und weist darauf hin, dass sie andere alternative Formen des Gedenkens und der Erinnerungskultur befürworte. Ihre Vorsitzende hat schließlich im Jahre 2012 dem Kompromiss zugestimmt, dass sie unter der Voraussetzung damit einverstanden sei, Stolpersteine zu verlegen, wenn Nachkommen der jüdischen Opfer diesen zustimmen würden.
Nach einer über ein Jahrzehnt währenden kontroversen öffentlichen Diskussion auch zwischen den beiden jüdischen Gemeinden in Göttingen, ist es mir nunmehr in 2013 gelungen, diesen Kompromiss zu finden. Aber, und das ist mir sehr wichtig, es wurde ein Kompromiss gefunden, der für alle Beteiligten akzeptabel sein sollte: Stolpersteine werden dann verlegt, wenn Angehörige der Opfer dem zugestimmt haben. Wir sollten diese Lösung nicht als Sieg oder Niederlage der einen oder anderen Seite sehen, sondern als Gewinn für uns alle: Zeigt sich darin doch die Fähigkeit unserer freiheitlichen Gesellschaft, grundlegende und langwierige Konflikte schließlich zu einer gedeihlichen Lösung zu bringen, mit der alle Seiten leben können. Darauf können wir ruhig ein wenig stolz sein, denn in vielen Gegenden der Welt würde eine solche Lösung als Sensation gelten.
Der Rat der Stadt Göttingen hat schließlich am 13. September 2013 hierzu beschlossen:
"Der Rat der Stadt Göttingen begrüßt und unterstützt die Verlegung von "Stolpersteinen" in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf öffentlichen Flächen, sofern Nachfahren und Angehörige der Opfer zustimmen."
Ein weiterer Punkt ist mir wichtig. Die Verlegung der Stolpersteine erfolgt unter der Federführung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit – dafür sei Ihnen, Herr Willen, als dem Vorsitzenden der Gesellschaft ausdrücklich gedankt. Gleichzeitig aber und in der Praxis sind die Göttinger Stolpersteine ein Gemeinschaftsprojekt der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, des Geschichtsvereins für Göttingen und Umgebung und der Stadtverwaltung, genauer gesagt des Stadtarchivs, des Fachdienstes Kultur und des Baubetriebshofs.
Die reibungslose, unbürokratische und zielorientierte Kooperation zwischen Kommunalverwaltung und den Organen der Zivilgesellschaft – auch das ist doch etwas, auf das einmal mit einer gewissen Zufriedenheit verwiesen werden darf. Allen, die an dieser Kooperation beteiligt waren, die durch ihr Engagement dazu beigetragen haben, dass heute in Göttingen Stolpersteine verlegt werden können, sei daher hiermit sehr herzlich gedankt!
Ich persönlich bin froh und dankbar darüber, dass es nunmehr auch in Göttingen gelungen ist, Stolpersteine als Zeichen gelebter Erinnerung zu verlegen.
Stadt Göttingen Dr. Dagmar Schlapeit-Beck Kulturdezernentin
Diese fünf Stolpersteine erinnern an den Kaufmann Julius Asser, seine Ehefrau Jenny Asser geb. Fernich, an Jennys Mutter Bertha Fernich und an die beiden Kinder von Julius und Jenny Asser, Kurt und Lissy. Julius Asser wurde 1905 in Göttingen geboren, wo sein Vater Cäsar Asser einen kleinen Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen unterhielt. Im Alter von 21 Jahren heiratete Julius die aus Klotten an der Mosel stammende Jenny Fernich, die ein Jahr älter war als er. Das Paar bekam zwei Kinder, im Jahr 1926 den Sohn Kurt und 1927 die Tochter Lissy. Der Familienalltag der Assers war seit den späten zwanziger Jahren zunehmend von wirtschaftlich beengten Verhältnissen geprägt, innerhalb weniger Jahre musste die Familie viermal umziehen. Seit der Mitte der dreißiger Jahre hatte die Familie, wie die meisten Juden in Deutschland, besonders unter den restriktiven und explizit judenfeindlichen Maßnahmen des Regimes zu leiden; so musste Julius Asser, der in den städtischen Meldeunterlagen als Kaufmann eingetragen ist, sich mehrfach als Hilfsarbeiter einer Tiefbaufirma verdingen. Als die politische Lage und die wirtschaftliche Situation es der Familie unmöglich machten, ihre Wohnung zu halten, stellte im September 1938 die jüdische Gemeinde einige Räume im Gebäude der Synagoge in der Unteren Maschstraße 13 zur Verfügung. Fünf Wochen später, in der Pogromnacht des 9. November 1938, verlor die Familie durch das Niederbrennen der Synagoge ihre Wohnung mitsamt dem Hausrat und allem Besitz. Eine neue Bleibe fanden die Familie Asser und Bertha Fernich schließlich hier im Haus Papendiek 26. Eine Woche später mussten der zwölfjährige Kurt und die elfjährige Lissy Asser ihre Schule, die Lutherschule am Ritterplan, verlassen; am 15. November ordnete Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, per Erlass, „mit sofortiger Wirkung“ an: „Juden ist der Besuch deutscher Schulen nicht gestattet. Sie dürfen nur jüdische Schulen besuchen.“ Als Vorwand diente das Attentat Herschel Grynszpans auf den Diplomaten Ernst vom Rath in Paris am 7. November 1938: „Nach der ruchlosen Mordtat von Paris kann es keinem deutschen Lehrer […] mehr zugemutet werden, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, dass es für deutsche Schüler unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.“ Durch den jüdischen Lehrer Heinz Junger wurde daraufhin für 7-10 jüdische Schüler bis zu den Osterferien 1941 Privatunterricht erteilt, vermutlich im jüdischen Gemeindehaus Weender Landstraße 26. Kurt Asser konnte wahrscheinlich zu Ostern 1940 seine Schulausbildung beenden und hielt sich von April 1940 bis April 1941 in Berlin auf und kehrte dann nach Göttingen zurück, um eine nicht näher bezeugte Tätigkeit als „Lehrling“ auszuüben. Lissy Asser konnte wahrscheinlich bis April 1941 ebenfalls diese jüdische Privatschule besuchen und wohnte anschließend, von ihren Eltern getrennt, für ein halbes Jahr in Kassel in der Rosenstraße 22, wo sich ein jüdisches Waisenhaus und Internat befanden. Julius und Jenny Asser wurden am 26. März 1942 zusammen mit ihren beiden Kindern, dem 15-jährigen Kurt und der 14-jährigen Lissy sowie deren Großmutter Bertha Fernich von Göttingen aus in den Osten deportiert und ermordet. Julius und Jenny Asser, ihre Kinder Kurt und Lissy und Jennys Mutter Bertha Fernich haben kein Grab, das Angehörige und Verwandte aufsuchen können. Diese Stolpersteine vor ihrer letzten Göttinger Wohnung sind von jetzt an der wichtigste Erinnerungsort an diese jüdische Göttinger Familie.
Peter Aufgebauer 17. März 2015
Grußwort: Prof. Dr. Peter Aufgebauer, Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung
„Yad Vashem“ - „Ort und Name“: Unter der biblischen Weisung (Isaia 56,5) steht die zentrale Mahn- und Gedenkstätte für ermordeten Juden Europas in Jerusalem. Auch in Göttingen lässt sich das Gedenken und mahnende Erinnern an die verfolgten, vertriebenen, ermordeten jüdischen Mitbürger mit „Ort und Name“ fassen: 1973 wurde das Mahnmal am Standort der 1938 niedergebrannten Synagoge errichtet, das seither der zentrale Ort des Erinnerns an die Pogromnacht ist. Eine Generation später, 1992, dokumentierte ein im Auftrag von Stadt und Landkreis erarbeitetes „Gedenkbuch“ in mehr als 800 Einzelbiographien das Schicksal der jüdischen Bürger im Gebiet des heutigen Landkreises. Auf der Grundlage des Gedenkbuches wurden im Jahre 1995 die 282 Namen der im Nationalsozialismus ermordeten Juden auf fünf Bronze-Namenstafeln dokumentiert. Heute, wiederum, fast eine Generation später, beginnen wir eine neue Form des mahnenden Erinnerns; Yad Vashem – Ort und Name: das können wir nun auf die Stolpersteine beziehen, die jeweils den Namen eines vom NS-Regime verfolgten oder Ermordeten vor seiner letzten selbst gewählten Wohnung dokumentieren. Wir holen nach und nach jedes Einzelne der Opfer in unsere Stadt und in unseren Alltag zurück. Die Erinnerung an die Namen und das Erinnern vor ihrer letzten Wohnstätte ist nicht auf Jahrestage und zentral organisierte Gedenkveranstaltungen beschränkt, sondern kann und soll jederzeit, im Alltag, im Straßenleben stattfinden. Um Ort und Name zusammen zu bringen, um zu erfahren, welcher Name auf einem Stolperstein steht, muss man sich hinab beugen – sich vor dem Opfer verneigen. Die mehr als 50 000 Stolpersteine, die Gunter Demnig inzwischen europaweit verlegt hat, sind längst nicht mehr nur die Aktion eines Einzelnen; als ein großes Flächenmahnmal haben der Künstler und die Generation der Nachkommen der Tätergesellschaft gemeinsam ein Netzwerk des mahnenden Erinnerns geschaffen. Heute sind Angehörige der durch die Verlegung von zehn Stolpersteinen Geehrten aus Südamerika, den USA, aus München, Hamburg, Berlin und Schleswig-Holstein nach Göttingen gekommen. Dies zeigt, wie wichtig und richtig es ist, die Erinnerung an den Einzelnen und an sein Wohnumfeld in unsere Stadt und unseren Alltag zurück zu holen – Ort und Name, Yad Vashem.
Peter Aufgebauer 17. März 2015
Hermann Hirsch wurde am 4. 6. 1861 in Rheydt als zweitjüngster Sohn des jüdischen Ehepaars Moritz und Rosetta Hirsch geboren. Nach dem Besuch eines Gymnasiums in Köln absolvierte Hirsch eine Lehre als Holzzeichner und -‐stecher bei Brend' amour in Düsseldorf. Eine Unterstützung durch seinen Onkel ermöglichte ihm ab 1881 die Aufnahme des Studiums an der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin. Hermann Hirsch wurde dort in Malerei und Plastik ausgebildet. 1886 schloss Hirsch noch ein Semester an der Kunstakademie Düsseldorf an.
Hirschs Lebensmittelpunkt in diesen Jahren war Berlin. Dort war er Mitglied im Verein Berliner Künstler. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit der Anfertigung von Illustrationen für auflagenstarke Wochenzeitungen, eine Arbeit, die er hasste. Bis 1914 war Hirsch in neun Jahren mit Werken auf den Großen Berliner Kunstausstellungen vertreten. In diese Zeit fallen auch teils längere Aufenthalte des Künstlers in Italien (auf Capri und Sizilien) und in der Schweiz. In Italien war er ordentliches Mitglied im Deutschen Künstler-‐Verein in Rom und nahm an dessen Ausstellungen teil.
Nach dem Ersten Weltkrieg kaufte der Junggeselle Hirsch im Alter von 58 Jahren durch Vermittlung seiner Schwester Julie Hendel das Haus Nummer 93 (heute: An der Waldbühne 1) in Bremke bei Göttingen. Dort wurde er auch Mitglied der Jüdischen Gemeinde. Kommerziell orientierte sich der Künstler nach Göttingen, bald waren erstmals Bilder von ihm in einer Göttinger Kunsthandlung ausgestellt. Bis 1932 nahm er fünf Mal mit Bildern und Plastiken an den Ausstellungen der Vereinigung Göttinger Kunstfreunde teil. Diese Ausstellungen und vor allem seine Porträts von Mitgliedern des Göttinger akademischen Bürgertums (z.B. des Nobelpreisträgers Max Born oder des späteren Oberbürgermeisters Jung) begründeten seinen Ruf als führender Porträtist und Landschaftsmaler der Region. 1925 kehrt Hirsch für kurze Zeit noch einmal nach Italien zurück und brachte Bilder aus Mondello bei Palermo wieder mit zurück nach Bremke. Im Dorf war er inzwischen anerkannt und akzeptiert, im Februar 1932 wurde er Mitglied im Gemeindeausschuss.
Angesichts des handgreiflichen Antisemitismus in Bremke übersiedelte Hirsch Anfang Mai 1933 nach Göttingen in die Weender Landstraße Nr. 12. Seine Verwandten, die Familie des Arztes Julius Kaufmann, wohnte gegenüber. Julius Kaufmann starb ein Jahr nach Hirsch, seine Frau Else im Konzentrationslager Theresienstadt am 12. August 1943. Sie hatten drei Kinder: Thea verblieb mit ihrem „arischen“ Mann Arthur Götting im elterlichen Haus und starb 1972. Ihr Bruder Fritz floh 1939 in die Niederlande und starb 1952 in Almelo. Ihrem Bruder Hans gelang 1936 die Emigration nach Brasilien. Er arbeitete dort u.a. in der von Deutschen gegründeten Kolonie „Roland“ (Rolandia). Hans starb im November 2006 in Sâo Paulo. Ich freue mich besonders, heute seinen Sohn, Bernardo Kaufmann, aus Sao Paulo, Brasilien, bei der Verlegung des „Stolpersteins“ für Hermann Hirsch begrüßen zu dürfen.
Hermann Hirsch erlebte in der Stadt noch ein dreiviertel Jahr fortschreitende Diskriminierung und Entrechtung. Im Alter von 73 Jahren, am 1.3.1934, nahm er sich in seiner Wohnung das Leben. Seine engeren Verwandten emigrierten frühzeitig, ein Weg der dem 73Jährigen anscheinend nicht mehr offenstand. Zum Schluss möchte ich seinen Freund zitieren, der beim Begräbnis auf dem Jüdischen Friedhof an dem Maler erinnerte: Dr. Wilhelm Lange, Geschäftsführer und Leitender Redakteur der Göttinger Zeitung. Ich zitiere aus seiner Rede:
„Er durfte, was die Masse nur ahnt und ferne sieht, bildhaft formen und gestalten. Ihm war die Gnade zuteil, zu sagen, was ist. Das war das Glück und die Tragik seines Lebens. Denn er war nie fertig geworden mit sich selbst. Immer zweifelnd an seiner Kraft und an seiner Sendung, oft ganz verzweifelnd, wurde ihn das Leben zu einem ewigen Ringen. Denn seine Kunst war ihm kein billiges Spiel, kein leichtes und liebenswürdiges Vergnügen, vor allem nicht materieller Erwerbszweck. Sie war für ihn Glauben und Bekenntnis.“
Dr. Rainer Driever 17. 03. 2015
Nachfahren wohnen Verlegung in Göttingen bei / Weitere Gedenksteine sollen folgen
Von Jörn Barke |18.03.2015, Copyright © 2015 Göttinger Tageblatt — mit Genehmigung
Göttingen. Erstmals sind in Göttingen im öffentlichen Raum zehn Stolpersteine zur Erinnerung an jüdische Opfer der nationalsozialistischen Diktatur verlegt worden. Die Gedenksteine im Straßenpflaster erinnern an drei Familien, deren Mitglieder erniedrigt, entrechtet und ermordet wurden. Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegte die Steine jeweils vor den ehemaligen Wohnhäusern der Familien. Reden und Klarinetten-Musik von Yoko Teuteberg sorgten für einen feierlichen Rahmen. Knapp 200 Besucher wohnten der Zeremonie bei, darunter auch Nachfahren der Familien.
„Das ist ein guter Anfang, aber nur ein Anfang“, meinte der Vorsitzende der Gesellschaft für jüdisch-christliche Zusammenarbeit, Heiner J. Willen. Er kündigte für das nächste Frühjahr die Verlegung von weiteren Stolpersteinen an. Von einer beeindruckende Weise, der NS-Opfer zu gedenken, sprach Göttingens Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck (SPD). Demnig hat in Deutschland und weiteren europäischen Ländern bereits rund 50 000 Stolpersteine verlegt.
In Göttingen würdigten die Historiker Prof. Peter Aufgebauer und Dr. Rainer Driever das Leben der Familie Asser und des Malers Hermann Hirsch, deren Gedenksteine im Papendiek 26 und in der Weender Landstraße 12 liegen. Nach einer langen Reihe von Demütigungen in Göttingen wurden fünf Mitglieder der Familie Asser 1942 in das Ghetto von Warschau deportiert und dort ermordet, darunter die beiden Jugendlichen Kurt und Lissy. Der Maler Hermann Hirsch setzte nach vielen Erniedrigungen seinem Leben 1934 selbst ein Ende. Nicht nur Nachfahren, auch Zeitzeugen aus Göttingen waren bei der Verlegung am Dienstag dabei, so die 87-jährige Erika Mischke, die als Kind mit Lissy Asser gespielt und sie um ihre dicken schwarzen Zöpfe beneidet hatte.
Dirk Mederer von der Supporters Crew 05 würdigte in der Groner Straße 9 das Leben der Familie Katz, die auf vielfältige Weise in Göttingen verwurzelt und engagiert war. Die Eltern betrieben ein Textilgeschäft in der Groner Straße, Sohn Ludolf engagierte sich unter anderem beim Fußballverein Göttingen 05. Bis zuletzt, so Mederer, hätten die Eltern nicht wahrhaben wollen, „dass sie ihrer Existenz beraubt werden sollten“. Das bezahlten sie mit ihrer Deportation und dem Tod. Die Kinder dagegen konnten rechtzeitig emigrieren.
Aus der US-Hauptstadt Washington war der Sohn von Rosa Katz, Ralph Ibson, mit seiner Verlobten und seiner Tochter nach Göttingen gereist. Der 69-Jährige zeigte sich bewegt von der Gedenkstein-Verlegung, die ihm sehr viel bedeute. Es sei wichtig zu wissen, dass an die Tragödie der Vergangenheit erinnert werde und dass die Menschen verstehen, dass so etwas nie wieder passieren dürfe. Die zwei wichtigsten Worte kann Ibson auch auf Deutsch sagen: „Nie wieder!“
Von Jörn Barke |21.01.2015 21:42 Uhr, Copyright © 2015 Göttinger Tageblatt — mit Genehmigung
Für Sozialdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck ist es ein „großer Moment“ und ein „großartiges Projekt“: Im März sollen erstmals auch in Göttingen Stolpersteine verlegt werden, die an Menschen erinnern, die während der nationalsozialistischen Diktatur vertrieben oder ermordet wurden.
In Dransfeld liegen sie bereits, in Göttingen sollen Stolpersteine im März verlegt werden. © Hinzmann
Göttingen. Auf den Stolpersteinen, die ins Pflaster eingelassen werden, ist eine Messingplatte aufgebracht, in die Informationen zu den Opfern eingraviert sind. Verlegt werden die Steine seit 2000 vom Kölner Künstler Gunter Demnig, der das Projekt initiiert hat.
Demnig habe mittlerweile rund 50 000 Stolpersteine in Deutschland und 17 weiteren europäischen Ländern verlegt, sagte Heiner J. Willen, Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit bei der Vorstellung des Vorhabens für Göttingen.
Die meisten der Opfer, an die erinnert werde, seien Juden, aber es gebe Stolpersteine unter anderem auch für Homosexuelle, Sinti und Roma oder Zeugen Jehovas, die Opfer der NS-Diktatur gewesen seien. Die Steine werden vor dem letzten frei gewählten Wohnhaus der Opfer verlegt.
In Göttingen gibt es bislang nur einen Stolperstein auf einem Privatgrundstück. Im öffentlichen Raum waren bisher aufgrund des Einspruchs der konservativen jüdischen Kultusgemeinde keine Steine verlegt worden. Der Name der Opfer werde mit Füßen getreten und beschmutzt, lautete der Einwand.
„Gutes Mittel des Erinnerns und Gedenkens“
Für Willen sind die Stolpersteine dagegen ein „gutes Mittel des Erinnerns und Gedenkens“. Die liberale Jüdische Gemeinde in Göttingen und damit die Mehrheit der Juden in der Stadt stehe hinter dem Projekt. Wer den Text auf den Stolpersteinen lesen wolle, müsse sich hinunterbeugen und damit vor den Opfern verneigen, so Willen.
Ein Kompromiss machte es schließlich möglich, das Projekt auch in Göttingen zu realisieren: Stolpersteine sollen nur dann verlegt werden, wenn Nachfahren und Angehörige einverstanden sind. Dieser Formel hat auch der Rat der Stadt zugestimmt. Opfer ohne Angehörige bleiben damit vorerst ohne Stolperstein – doch die Initiatoren hoffen darauf, dass es hier im Verlauf des Projektes ein Umdenken geben könnte.
Am 17. März sollen nun die ersten zehn öffentlichen Stolpersteine in Göttingen verlegt werden. Der Künstler hatte diese Höchstzahl vorgegeben. Die Namen wählte eine bei der christlich-jüdischen Gesellschaft angesiedelte Arbeitsgruppe aus, der auch der Leiter des Städtischen Museums und des Stadtarchivs, Ernst Böhme, sowie der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Peter Aufgebauer, angehören.
Böhme würdigte das Stolperstein-Projekt als „Prozess des kollektiven Erinnerns“. Aufgebauer sagte, er sei „sehr dankbar“, dass für das Projekt in Göttingen nun endlich ein Kompromiss gefunden worden sei. Das Projekt sei auf jüdischer Seite weithin akzeptiert, betonte der Historiker.
An diese zehn Opfer soll erinnert werden
Die stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Bettina Kratz-Ritter, hat am Mittwoch die Namen der zehn jüdischen Opfer der NS-Diktatur vorgestellt, für die die ersten öffentlichen Stolpersteine in Göttingen verlegt werden.
Unter den Opfern sind zwei Jugendliche und der Maler Hermann Hirsch, der sich in der Verzweiflung über die zunehmende Entrechtung selbst das Leben nahm. Die Inschriften beginnen mit den Worten „Hier wohnte“, dann folgen die Angaben:
Bei der Verlegung der Stolpersteine würden auch Angehörige und Verwandte der Opfer erwartet, sagte Heiner J. Willen, Vorsitzender der christlich-jüdischen Gesellschaft. Auf diese zehn Stolpersteine sollen jedoch noch zahlreiche weitere folgen, wenn es nach den Initiatoren geht. Das Projekt werde die Gesellschaft wohl mindestens fünf Jahre lang beschäftigen, meint Willen.
Die nächsten Stolpersteine könnten aber frühestens 2016 verlegt werden. Die Stolpersteine werden über Patenschaften finanziert. Paten werden auch für die Pflege der Steine gesucht. Ansprechpartner sind die Gesellschaft und der Geschichtsverein.
Mehr Informationen unter geschichtsverein-goettingen.de und gcjz-goettingen.de