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Göttinger Tageblatt vom 24. Februar 2005

GT-Interview mit Rabbiner Walter Homolka, Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs

„Juden und Muslime stehen in einem brüderlichen Naheverhältnis“

Im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit, den die Gesellschaften für Christlich-jüdische Zusammenarbeit veranstalten, kommt Walter Homolka nach Göttingen. Mit dem Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs, einer liberalen Rabbiner-Ausbildungsstätte in Potsdam, hat GT-Redakteur Jörn Barke über die Heiligsprechung von Edith Stein, das christlich-jüdische Verhältnis und die Vielfalt innerhalb des Judentums gesprochen.
GT:
Sie haben früher einmal Kritik an der Heiligsprechung von Edith Stein geübt, einer zum Katholizismus konvertierten Jüdin, die in den Orden der Karmeliten eintrat und von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet wurde. Was ist der Grund für diese Kritik?
Homolka: Ich habe nicht Kritik an Edith Steins Selig- und Heiligsprechung geübt, sondern auf das unglückliche Umfeld hingewiesen, in dem dies damals geschah: einer Auseinandersetzung über die Ansiedlung der Karmeliterinnen auf dem Gelände des Konzentrationslagers Auschwitz, eines jüdischen Massengrabes. Dies hat Unmut bei jüdischen Kritikern gerade aus den USA hervorgerufen, weil man fürchtete, die katholische Kirche wolle mit Edith Steins Heiligsprechung dokumentieren, dass auch die Kirche Opfer der Nazis war. Dagegen stand die jüdische Position, Edith Stein sei als Jüdin getötet worden, nicht als Nonne. Dabei bestand kein Zweifel an der persönlichen Integrität der Theresa Benedicta vom Kreuz. Bei anderen Fällen war das umstrittener. Pius IX. etwa ist anlässlich der Seligsprechung 2000 weithin wegen seiner judenkritischen Äußerungen und der Mortara-Affäre von 1858 ins Kreuzfeuer geraten. Auch der aktuelle Vorschlag, Isabella die Katholische seligzusprechen, ist problematisch. Die Vertreibung von Juden und Muslimen von der spanischen Halbinsel 1492 und die Schrecken der Inquisition haben über Jahrhunderte viel Leid erzeugt. Für das jüdisch-katholische Verhältnis wäre das eine Belastung.

Also spricht eigentlich nichts gegen die Heiligsprechung von Edith Stein, die in Göttingen sehr bekannt ist, weil hier ein nach ihr benannter Preis verliehen wird?
Edith Stein ist als eine Patronin Europas eine sehr würdige Heilige und kann sogar das Miteinander von Juden und Katholiken mit Impulsen versehen. Dafür bedarf es aber großen Vertrauens zwischen uns und den Katholiken. Denn wir müssen damit zurechtkommen, dass eine Jüdin eine persönliche Glaubensentscheidung getroffen hat, die aus dem Judentum herausführte. Damit ist die Anerkenntnis verbunden, dass Christen einen authentischen Weg zu Gott besitzen.

Unabhängig von diesem Spezialproblem: Wie hat sich das Verhältnis zwischen christlicher Kirche und Judentum in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt?
Seit der Erklärung „Nostra Aetate“ der Katholischen Kirche vor 40 Jahren als Folge des zweiten Vatikanums sind viele sehr positive Zeichen gesetzt worden. Die theologischen Fragen sind in der katholischen und evangelischen Kirche weitgehend behandelt worden. Wir wissen eigentlich voneinander sehr viel. Für die Zukunft wird die Aufgabe sein, vor einem gemeinsamen Hintergrund unsere Werte in einer sich weiterentwickelnden säkularen Gesellschaft zu vermitteln und damit Zeugnis abzulegen, was wir gemeinsam wollen in dieser Welt. Bedrückend finde ich allerdings, dass der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, derzeit einen scharfen Abgrenzungskurs gegenüber den Muslimen fährt. Damit werden Dinge in Frage gestellt, die eigentlich jahrzehntelang unproblematisch waren.

Wie wirken sich Spannungen zwischen Christen und Muslimen auf das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum aus?
60 Jahre Annäherung zwischen Juden und Christen dürfen über eines nicht hinwegtäuschen: Juden und Muslime stehen in einem brüderlichen Naheverhältnis, denn Isaak und Ismael sind biblische Halbbrüder. Daran ändert auch der aktuelle Nahostkonflikt nichts. Koran und Texte der mündlichen Tradition im Judentum haben deutliche Bezüge. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis Christen den Wert erkannt haben, mit dem Judentum die hebräische Bibel gemeinsam zu lesen. Mit dem Islam wiederum verbinden uns der klare Monotheismus, viele Bezüge des religiösen Alltags, gemeinsame Text- und Erzähltraditionen sowie ein fruchtbarer philosophischer Austausch. Das wiegt mindestens genauso schwer. Deshalb müssen wir Juden dem Islam dabei helfen, von einer christlichen Umwelt richtig verstanden zu werden.

Vom christlich-jüdischen Verhältnis zum innerjüdischen Verhältnis: Sie haben Kritik an der Einheitsgemeinde geübt, bei der verschiedene Strömungen in einer Gemeinde vertreten sein sollen.
Wenn sie als Einheit in Vielfalt funktioniert, ist nichts gegen die Einheitsgemeinde einzuwenden. Sie erfordert dann eine hohe Toleranz auf beiden Seiten. Wenn das Modell aber nicht funktioniert, müssen andere Wege gegangen werden. Der Staat sollte hier Neutralität üben und die staatliche Förderung nach dem Gleichheitsgrundsatz jeder jüdischen Richtung zukommen lassen, orthodox oder liberal. Unabhängig davon, ob sie zu einer Einheit finden oder sich getrennt entwickeln. Auch die christlichen Kirchen sollten diese Unterschiede würdigen, die auf entscheidenden Lehrdifferenzen beruhen. Die liberalen jüdischen Gemeinden hoffen aber, dass die Annäherung beider Seiten dazu führt, dass uns künftig der Zentralrat der Juden als politischer Bundesverband ebenfalls würdig vertritt. Dies setzt gegenseitigen Respekt und Wertschätzung unserer religiösen Traditionen voraus. Hier ist derzeit einiges in Bewegung.

Woche der Brüderlichkeit

Göttingen (bar). Seit 1951 veranstalten die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit jährlich im März die Woche der Brüderlichkeit. Dabei werden landesweit Veranstaltungen organisiert, um auf die Zielsetzung der 83 Gesellschaften und das jeweilige Jahresthema hinzuweisen. Noch vor der zentralen Eröffnungsfeier am 6. März in Erfurt, referiert in Göttingen am Mittwoch, 2. März, um 20 Uhr im Alten Rathaus Rabbiner Walter Homolka. Er spricht im Rahmen des Jahresthemas „Prüft alles, das Gute behaltet“ über „Religion im Spannungsfeld von Kontinuität und Wandel“. Homolka, der in einer katholischen Umgebung als Jugendlicher zum Judentum fand, ist Direktor des Abraham-Geiger-Kollegs, einer liberalen Rabbiner-Ausbildungsstätte. Er hat zahlreiche Ehrungen erhalten, so auch den Orden eines Ritters der Ehrenlegion. Homolka wird eine Bestandsaufnahme des derzeitigen jüdischen Lebens in Deutschland geben. Der Deutsche Kordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat zum Jahresthema ein Themenheft herausgegeben, das es in der Göttinger Geschäftsstelle, Henri-Dunant-Straße 52, Telefon 0551/ 2054746, gibt.

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