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2023

Gedenktafel für Rabbiner Benno Jacob

Samstag, 25. Februar 2023 ©Göttinger Tageblatt, mit Genehmigung


wes / Foto: Christina Hinzmann

Göttingen Eine Gedenktafel zu Ehren des Rabbiners Benno Jacob ist am Freitag in Göttingen enthüllt worden. Im Schiefen Weg, Hausnummer 7, hängt nun eine Marmortafel, die daran er‐ innert, dass Jacob hier von 1895 bis 1899 lebte. Die Göttinger Kulturdezernentin Anja Krause dankte den Eigentümern des Hauses für ihre Kooperation. Anschließend übergab sie das Wort an die Göttinger Theologin Bettina Kratz-Ritter, die den anwesenden Gästen, darunter Vertreter des Stadtrates und des Kulturausschusses, einen Einblick in Jacobs Biografie gab. Der Rabbiner habe von 1891 bis 1906 in Göttingen gelebt und gewirkt, den noch habe bisher in der Stadt öffentlich nichts an ihn erinnert. Einen „immensen“ wissenschaftlichen Nachlass habe Jacob hinterlassen – und unablässig gegen Judenfeindlichkeit gekämpft. Zudem habe er sich als Rabbiner für alle Mitglieder seiner Gemeinde zuständig gefühlt, unabhängig von deren religiöser Strömung. Der als liberaler geltende gebürtige Schlesier konnte vor den Nationalsozialisten fliehen. Er starb im Januar 1945 in London. Reinhard Gregor Kratz, ebenfalls Göttinger Theologe, betonte Jacobs Einfluss als Privatgelehrter auf die Bibelwissenschaft. Im Anschluss entfernten Kratz-Ritter und Krause gemeinsam die Plane von der Gedenktafel.

Mehr Information zu Rabbiner Jacob →hier

„Tanzende Geige, kraftvolle Stimme“

© 2023 Göttinger Tageblatt -- mit Genehmigung

Gottingen. Vor 25 Jahren sind die Musiker Daniel Kempin und Dimitry Reznik im Alten Rathaus aufgetreten. Am Sonntagabend waren sie auf Einladung der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wieder dort zu Gast. Ihr Programm: jüdische Musik. „Mir lebn ejbik“ heißt das Programm, das sie präsentiert haben — „Wir leben ewig!“. Den Satz haben Häftlinge in einem KZ ihren Peinigern entgegengerufen, die während einer Theatervorstellung im Publikum saßen.

Schwarzer Hintergrund, schwarze Kleidung: Aufdringlich wirken Kempin und Reznik wirklich nicht. Mit einem jiddischen Kinderlied starten sie in den Abend. Aus Osteuropa kommt das Stück, von dort, wo die Nationalsozialisten „das osteuropäische Judentum fast vollständig vernichtet haben“, erklärt Kempin. Der Sänger und Gitarrist führt durch das Programm und hält den Kontakt mit dem Publikum. Bei vielen Liedern steht ihm Reznik zur Seite, ein virtuoser Geiger, der sich sehr im Hintergrund hält. Spielt er nicht, geht er von der Bühne und nimmt daneben im Zuschauerraum Platz.

Gedenken: Gebirtigs Ghetto-Tagebuch

Das Kinderlied steht für jüdischen Pragmatismus. Aus einem löcherigen Mantel macht der Protagonist eine Jacke. Weil auch sie noch Löcher hat, wird daraus eine Weste, dann eine Fliege. Weil immer noch schadhafte Stellen zu sehen sind, macht er daraus ein Lied. Doch so fröhlich bleibt der Abend nicht.

Im zweiten Teil des Konzertes stand das Werk des Dichters und Komponisten Mordechai Gebirtig (1877-1942) im Zentrum. Das Duo stellt einen Auszug aus dessen Ghetto-Tagebuch vor. Auf Einladung des Holocaust Memorial Museum in Washington hat Kempin in den USA eine CD mit Gebirtigs Liedern eingespielt und vorher zum großen Teil selbst vertont.

Gebirtig schrieb Texte und Melodien für das jüdische Theater und kam schon in den 1920er-Jahren zu großer Bekanntheit. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Polen wurde Gebirtig „im Krakauer Ghetto von einem jungen deutschen Soldaten erschossen“, berichtete Kempin. Seine Ehefrau und die drei Töchter wurden später im KZ umgebracht.

Das letzte öffentliche Wort: Amen

Ende Mai 1942 schrieb Gebirtig sein letztes Lied, „sein letztes öffentliches Wort“, so Kempin. Das letzte Wort darin: „Amen“. Etwa 140 Lieder hat er zeit seines Lebens getextet und komponiert, lediglich zwei in Dur, erklärte Kempin. „Stört euch nicht an meinen grauen Haaren, meine Seele ist noch jung. Vom Frühling bis zum Winter ist es nur ein Katzensprung“, hatte Gebirtig einst gedichtet.

Ein geistiges Getränk spiele in der jüdischen Geschichte eine bedeutende Rolle, erzählte Kempin mit einem Schmunzeln. „A Gläsle Wein“ lautete der Titel eines der Lieder an diesem Abend, der mit einem weiteren Werk dieser Reihe endete: „Noch a Gläsle Wein“.

Reihe „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“

Es war nicht die Klezmer-Fröhlichkeit, die den Abend trug. Das wäre wohl dem Anlass nicht angemessen gewesen. Das Konzert war Teil der Veranstaltungsreihe „Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“. An das jüdische Leben in Osteuropa erinnerten Kempin . und Reznik, „das fast vollständig vernichtet wurde“, an 2,7 Millionen Juden, die in der Ukraine umgebracht wurden. „Der aktuelle Krieg in der Ukraine erinnert uns Tag für Tag, wie wichtig unser Gedenken ist“, sagte der Gitarrist.

Kraftvoll interpretierte das Duo die traditionellen Lieder, mal klagend, mal fröhlich, mal nachdenklich, mal tänzerisch. Stolz schwang mit, Duldsamkeit und trotz aller Gräuel ein unerschütterlicher Lebensmut. Ein bewegender und hochkarätiger Abend, den das Publikum mit rauschendem Applaus würdigte.

2022

„Ich fühle mich nicht immer sicher“

Mittwoch, den 15.Juni 2020 © Göttinger Tageblatt

Helene Shani Braun gab einen Einblick in ihr Leben: Das Leben einer jungen jüdischen Frau in Deutschland, die Rabbinerin werden will. Foto: Ulrich Meinhard

Schüler der KGS Moringen beschäftigen sich mit jüdischem Leben

Moringen. „Jüdisches Leben in Deutschland heute“ war eine Bühnendiskussion überschrieben, die am Dienstag in der Kooperativen Gesamtschule (KGS) Moringen ausgerichtet worden ist. Veranstalter waren die KGS und die Zeitbild-Stiftung. Mit einem bundesweiten Bildungsprojekt will Zeitbild für Jugendliche, Lehrkräfte und Bildungsinstitutionen jüdisches Leben erlebbar machen und einem erstarkenden Antisemitismus entgegentreten. Zur Veranstaltung eingeladen waren die beiden jungen jüdischen Frauen Anna Staroselski (per Video zugeschaltet) und Helene Shani Braun. Sie stellten sich den Fragen von Schülern.

Anna Staroselski ist die Tochter jüdischer Kontingentflüchtlinge aus der Ukraine, sie ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Staroselski studiert Geschichte an der Humboldt-Universität in Berlin und arbeitet im Büro des FDP-Bundestagsabgeordneten Till Mansmann. Sie ist die Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland, der bundesweiten, politischen Interessenvertretung von Jüdinnen und Juden im Alter zwischen 18 und 35 und zudem Bundesvorstandsmitglied des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Helene Shani Braun stammt aus Hannover. Sie lebt in Berlin, will Rabbinerin werden und beschäftigt sich mit den Themen Feminismus, Nachhaltigkeit und Queerness. Auf deutschland.de heißt es über sie: Die 24-Jährige ist vieles: jung, jüdisch, weiblich, queer und vor allem unkonventionell. Ihre Ausbildung zur Rabbinerin erfolgt am Abraham Geiger Kolleg in Potsdam

Frauen müssen sich immer durchsetzen

Die Schüler wollen von Braun wissen, ob es für eine Frau im Judentum schwer sei, sich durchzusetzen. Es sei in der Gesellschaft allgemein schwer, als Frau in bestimmte Berufe zu kommen, schätzt Braun ein. Und auf die Frage, ob das Judentum immer schon wichtig für sie gewesen sei, antwortet sie: „Meine Mutter hat mit meiner Geburt wieder angefangen, jüdisches Leben aktiv zu leben.“ Queer zu sein, räumt sie ein, sei in jüdischen Kreisen schwierig — und in queeren Kreisen sei es schwierig, jüdisch zu sein. Das resultiere aus einer Abneigung gegenüber dem Staat Israel. Sind also Diskriminierung und Anfeindungen die Folge? „Man sieht mir mein Jüdischsein ja nicht an“, sagt Braun. Körperliche Gewalt habe sie im Leben noch nicht erfahren müssen. „Ich kenne aber viele Fälle, bei denen in Schulen schlimme Dinge passiert sind“, fügt sie an. Antisemitismus zeige sich nicht nur durch körperliche Gewalt, differenziert Staroselski, sondern auch durch dumme Witze, Beleidigungen, Bedrohungen. „Ich bekomme so etwas immer wieder über Social Media mit. Und ich weiß aus meiner Schulzeit, wie schmerzhaft das sein kann.“ Wie kann es anders werden? „Wir alle müssen für ein friedliches Miteinander Verantwortung übernehmen“, appelliert sie in die Runde.

Verschwörungsmythen aus dem Mittelalter

Antisemitismus, betont die Studentin, sei nie weg gewesen – zu keiner Zeit. Diese feindlich gesinnte Einstellung gegenüber allem Jüdischen resultiere aus Verschwörungsmythen, wie es sie schon im Mittelalter gegeben habe. „Es gibt Antisemitismus von links, von rechts und aus der Mitte der Gesellschaft.“ Letztlich sei dieses Empfinden das Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Lagern. „Es ist wichtig, in den Austausch miteinander zu treten – so wie heute hier“, sagt Staroselski. Sie ist überzeugt: Das Wissen um die Vielfalt jüdischen Lebens ist in Deutschland noch nicht groß genug, um es tatsächlich einschätzen zu können. Und Braun fügt an: „Minderheiten müssen sich am Ende des Tages immer für sich einsetzen.“

Davidstern und Kippa lieber verbergen

Die Frage, ob die Stolpersteine, die vor allem an jüdische Schicksale während des Nationalsozialismus erinnern, zu begrüßen seien oder nicht, sagt Braun: „Wenn es für Menschen wichtig ist, spricht meiner Meinung nichts gegen Stolpersteine. Um aber für alle jüdischen Opfer des Holocaust Stolpersteine zu verlegen, müssen 100 Jahre oder mehr vergehen – das ist gar nicht aufzuholen.“ Deutschland habe eine „Riesenverantwortung“, findet Staroselski. Dabei gehe es nicht um Schuld – es gehe um die Übernahme von Verantwortung. Wichtig sei, dass junge Menschen einen Zugang zur Shoa-Geschichte finden, sich damit auseinandersetzen, sich Fragen stellen wie: Gab es jüdische Menschen in meinem Ort, die aus dem Leben gerissen worden sind? Es gehe letztlich nicht um die Ermordung von sechs Millionen Juden – es gehe um einzelne Schicksale, um einzelne Menschen.

Die Frage, ob sie sich als Teil der deutschen Gesellschaft und integriert fühlen, bejahen beide Frauen. „Aber ich fühle mich nicht immer sicher“, räumt Braun ein. Genau deshalb Die Frage, ob sie sich als Teil der deutschen Gesellschaft und integriert fühlen, bejahen würden viele jüdische Menschen Zeichen des Judentums verbergen, wie etwa den Davidsstern oder die Kippa. Bei ihr, hebt sie hervor, sei alles jüdisch: „Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.“

„Ich fühle mich als Deutsche – vielleicht mehr als irgendwas anderes. Da bedarf es keiner Integration“, sagt Staroselski. Als das Judentum entstand, gibt sie zu bedenken, gab es Imperien wie das alte Rom und das alte Griechenland: „Die gibt es nicht mehr. Das Judentum aber gibt es noch. Es ist einfach toll, da dazuzugehören.“

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Die Veranstaltung, moderiert von der Fernsehmoderatorin Nina Moghaddam, lief im Rahmen des Festjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Musikalisch rahmten die Schulband und der Schulchor der KGS das Bühnenprogramm ein. Bei einem Markt der Möglichkeiten präsentierten sich Initiativen und Einrichtungen und informierten über ihr Engagement bei der Prävention von Antisemitismus.

2021

Erinnerung gehört in die Stadt

Adelebsen erinnert mit neuer Stele an seine jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen
© 2021 GT
Von Markus Hartwig

Samstag, 21.August.2021 — Aus der Region

Fotos: Markus Hartwig — Auf dem rechten Bild: Bürgermeister Holger Frase (links) und
die Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Göttingen, Esther Heling-Hitzemann

Adelebsen. Jedes Jahr gedenkt der Ortsrat Adelebsen auf dem kleinen Platz vor dem ehemaligen Ratskeller der Novemberpogrome 1938. Am Freitag ist nun genau dort eine Stele errichtet worden. Sie soll der Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung gedenken. Ganz besonders aber ist die Stele den jüdischen Mitbürgern Adelebsens gewidmet. Gemeindebürgermeister Holger Frase gab anlässlich der Feierstunde am Freitag einen Rückblick und klärte auf, welchen Weg die Stele von der ersten Idee bis zum Aufstellen vor dem Ratskeller genommen hat.

Der Jerusalemer David Blank hatte von 2014 an über drei Jahre Ahnenforschung in Adelebsen betrieben. Bei den Nachforschungen sei ihm aufgefallen, so Frase, dass es keine bewusste Erinnerung oder Auseinandersetzung mit dem Schicksal der ehemaligen jüdischen Bevölkerung Adelebsens gebe. Es gibt zwar einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof, aber nicht in Adelebsen selbst. „Schon damals hatte man die jüdische Bevölkerung ausgegrenzt, indem man ihr nur außerorts Bestattungen erlaubte. Blanks Idee war es nun, die Erinnerung in den Ort zu holen.“

Erinnerungskultur im Ort Bürgermeister Frase wurde nun offiziell der Auftrag erteilt, Standort, Material, die Inschrift sowie die Kosten für einen Gedenkstein zu klären. „Meine erste Idee war ein Gedenkstein, ähnlich dem in Göttingen. Doch dann erblickte ich in Oppeln eine Glastafel mit Inschrift.“ Nicht ahnend, dass dieser Vorschlag am Ende realisiert werden sollte, brachte Holger Frase diese Idee ein. Sie wurde angenommen – die Frage nach dem Material war geklärt. Auch der Text zur Inschrift stand wenig später fest. Nun aber der Rückschlag: Die Vorschläge fanden doch keine Mehrheit mehr im Rat.

Über die Ratsentscheidung nicht erfreut, schrieb David Blank – das ist der Herr, der über drei Jahre Ahnenforschung betrieben hatte – gemeinsam mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Göttingen „ein flammendes Plädoyer für die Umsetzung einer Gedenktafel“, erinnerte sich Frase. Die Worte fanden Gehör, und Anfang Dezember 2020 hatte der Rat der Stadt einstimmig für die Errichtung einer Erinnerungstafel gestimmt. Warum der Gedenkstein?

Adelebsen hatte einst den Beinamen „Klein Jerusalem“. So lebten im Jahr 1810 107 Juden im Ort – das entsprach zehn Prozent der Bevölkerung. Der Höhepunkt war 1848 mit 192 jüdischen Mitbürgern erreicht. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933, sank die Zahl auf 32. Sie wurden in der Pogromnacht vom 9. auf den 10 November 1938 von Hitlers Schergen zusammengetrieben und in den Ratskeller gesperrt. Die Frauen wurden am Folgetag entlassen, die Männer jedoch in Schutzhaft genommen. 1942 wurden die letzten jüdischen Mitbürger Adelebsens in Konzentrationslager deportiert. Gedenken und Mahnung

„Mit dieser Stele gedenken wir derer, die den Nazis zum Opfer gefallen sind. Wir wollen aber auch mahnen, dass sich dieses traurige Kapitel der Geschichte nicht wiederholt“, sagte Gemeindebürgermeister Holger Frase, und enthüllte gemeinsam mit Esther Heling-Hitzemann, sie ist die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen, die transparente Stele auf dem Platz vor dem ehemaligen Ratskeller in Adelebsen.

In drei Sprachen ist auf der Stele zu lesen: „Im Gedenken an die in Adelebsen beheimateten jüdischen Bürger und Bürgerinnen, die in den Jahren nationalsozialistischer Gewaltherrschaft 1933-1945 ihrer Würde, ihrer Freiheit und zuletzt ihres Lebens beraubt wurden. Zu ihrem Geschick wollen wir nicht schweigen.“

2020

Gemeinderat revidiert Entscheidung

Holocaust-Gedenkstein soll nun doch in der Ortsmitte aufgestellt werden
© 08.12.2020 GT
Von Ulrich Meinhard

Dienstag, 8. Dezember 2020 — Aus der Region

Adelebsen. Der Gemeinderat des Fleckens Adelebsen hat eine Entscheidung vom Juni aufgehoben und sich in der Sache anders entschieden: Damals stimmten 16 von 19 Ratsmitgliedern gegen das Aufstellen eines Gedenksteins in Erinnerung an die Vertreibung und Ermordung jüdischer Mitbürger während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Der Stein oder die Stele sollte in der Ortsmitte postiert werden. So lautete der Vorschlag eines in den USA lebenden Nachkommens einer jüdischen Familie. Doch der Rat stimmte mit Mehrheit dagegen.

Ein Votum, das unter anderem bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Göttingen auf Unverständnis und Kritik stieß. Gerade Adelebsen sei für die Geschichte jüdischer Kultur und jüdischen Lebens in Deutschland von großer Bedeutung, da viele jüdische Familien Göttingens aus Adelebsen stammen, schrieb die erste Vorsitzende der GCJZ, Esther Heling-Hitzemann.

Warum hatte der Rat im Juni so entschieden? Das fragte CDU-Fraktionschefin Nicole Schulz während der jüngsten Ratssitzung in die Runde, ohne die Frage zu beantworten. Sie merkte jedoch an: „Mit den Informationen aus dem Brief hätte ich im Juni anders entschieden.“ SPD-Fraktionschef Michael von Minden gehörte im Juni zu den drei Räten, die für das Erinnern gestimmt hatten. Nicht nur wegen des Briefes der GCJZ, sondern vor allem deshalb, weil die „ewig Gestrigen“ aktuell vermehrt Zulauf erhielten, könne er nur darum bitten, dass der Rat dieses Mal einstimmig für den Gedenkstein votiere. In der Tat fiel die Entscheidung dieses Mal ohne Gegenstimme pro Gedenkstein. Der soll am alten Rathaus in Adelebsen aufgestellt werden, weil hier Frauen, Kinder und Männer jüdischer Herkunft von den Nationalsozialisten zusammengetrieben und deportiert wurden. mei

Im Hin und Her des Gedenkens

Holocaust-Mahnmal soll in die Ortsmitte von Adelebsen geholt werden
Rat votierte im Sommer dagegen. © 28.11.2020 GT
Von Ulrich Meinhard

Der Jüdische Friedhof in Adelebsen liegt etwas außerhalb des Ortes an der Landstraße nach Offensen. Foto: Hinzmann

Samstag, 28. November 2020 — Aus der Region

Adelebsen. Ein Beschluss des Gemeinderates von Adelebsen hat für Irritationen gesorgt. Am 11. Juni lehnte das Gremium das Aufstellen eines Gedenksteines beziehungsweise einer Gedenktafel vor dem alten Rathaus in Erinnerung an die Deportation jüdischer Mitbürger ab. Laut Protokoll waren 13 von 19 Ratsmitgliedern anwesend, die Ablehnung geschah mit großer Mehrheit. Dabei hatte der Rat knapp zwei Jahre zuvor noch ganz anders entschieden. Das nötige Geld war sogar in den Haushalt 2019 eingestellt worden, um dann aber nach der Kritik der Kommunalaufsicht an der Haushaltslage doch wieder herausgestrichen zu werden. Die Entscheidung freilich hatte Bestand – bis zum Juni dieses Jahres.

Stele sollte vor altemRathaus postiert werden

„In einer Haushaltsbesprechung für das Jahr 2020 wurde seitens der Verwaltung vorgeschlagen, einen Gedenkstein gegen das Vergessen der jüdischen Opfer der Gemeinde Adelebsen aufzustellen. Diese Gelder wurden zunächst nicht eingestellt, da seitens der Politik mehr Informationen gewünscht waren und die Idee konkreter ausgestaltet werden sollte. Zu diesem Zweck habe ich mich mehrfach mit Prof. Bernd Schaller besprochen. Unser letztes Gespräch fand am 28. Februar 2020 statt“, sagt Adelebsens Bürgermeister Holger Frase (SPD) zur Sachlage.

Schaller, der am 1. Mai verstorben ist, war Theologe und Judaist, also ein wissenschaftlich arbeitender Fachmann der jüdischen Geschichte. Er hatte die Verwaltung von Adelebsen beraten. „Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir gemeinsam Eckdaten ermittelt. Der Gedenkstein sollte vor dem alten Rathaus stehen, weil hier die Juden zusammengetrieben, im Keller eingesperrt und dann in Konzentrationslager deportiert wurden“, erläutert Frase.

Als Mahnmal sollte eine Acrylplatte dienen. Es gibt bereits einen Gedenkstein zum Holocaust am jüdischen Friedhof am Rande des Ortes. Die Idee, das Gedenken an die Verbrechen der Nationalsozialisten an jüdischen Menschen vom Ortsrand in die Ortsmitte zu holen, hatte vor etwa vier Jahren der in den USA lebende David Blank, dessen familiäre Wurzeln in Adelebsen liegen.

Die Inschrift auf der Stele am alten Rathaus sollte in Deutsch, Hebräisch und Englisch verfasst werden. Sie sollte 1,70 Meter in der Höhe und 0,80 Meter in der Breite ausweisen. Schaller formulierte einen Text. Dann sagte der Rat das Projekt ab.

Zu denen, die daran Kritik üben, gehört das Mitglied des Kreistages, Thomas Carl Stiller (FDP). Er weist darauf hin, dass Adelebsen einst eine große jüdische Gemeinde hatte. „Die bereits geplante und entworfene Stele muss an dem für sie vorgesehenen Platz stehen, um im Blickfeld des Alltags auch in Zukunft die Erinnerung an das Geschehene nicht verblassen zu lassen“, betont der Arzt. Sein Credo: „Erinnerungskultur ist der Auftrag an die Zukunft, es besser zu machen und das Ungeheuerliche nie wieder geschehen zu lassen. Dieser Weckruf muss von jeder Generation neu gehört undverinnerlicht werden.“ Orte der Tat müssten erkennbar bleiben.

„Können Entscheidung nicht nachvollziehen“

Der Holocaust sei kein entrücktes, geschichtlich weit zurückliegendes Ereignis, „sondern er begann in der Mitte unseres Alltags, an Orten, die wir heute genauso frequentieren wie damals. Es geschah in der Mitte der Gesellschaft, in der Nachbarschaft, vor den Augen aller“, reflektiert Stiller. Damit sich diese Verbrechen niemals wiederholen können, müsse sich jeder Einzelne immer wieder mit ihnen konfrontieren.

Mittlerweile hat auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Göttingen ein Schreiben an den Gemeinderat von Adelebsen verfasst. Darin heißt es: „Auch wir können diese unerwartete Entscheidung nicht nachvollziehen, zumal Herr Professor Schaller, unser langjähriger ehemaliger Vorstandsvorsitzender, sich noch Anfang April, vier Wochen vor seinem Tod, hinsichtlich letzter Details für die Gestaltung der Stele mit Herrn Frase abgestimmt hatte, so dass dieses Projekt endlich kurz vor seiner Umsetzung zu stehen schien.“

Angesichts der großen Bedeutung des Ortes Adelebsen für die Nachkommen vieler jüdischer Familien aus Göttingen falle es der GCJZ „sehr schwer, diese ablehnende Entscheidung des Gemeinderats zu verstehen“. Das Schreiben endet mit der Bitte: „Überdenken Sie Ihren Beschluss vom 11. Juni 2020 und entscheiden Sie sich in einer neuen Abstimmung für die geplante Stele.“

Bürgermeister Frase äußert sich auf Nachfrage zuversichtlich, dass Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden könnten, wenn der Rat doch wieder für ein Erinnern in der Ortsmitte votiert. Der Rat der Gemeinde Adelebsen kommt am 3. Dezember (18.30 Uhr, Rathaus) zu seiner nächsten Sitzung zusammen.

Info: Sie erreichen den Autor per E-Mail an u.meinhard@goettinger-tageblatt.de.

Neue Chance für Adelebser Erinnerungsstele

Mahnmal für Opfer der Juden-Deportationen wird erneut Thema im Gemeinderat
© 20.11.2020 09:36 HNA
Von Andreas Arens

Das Mahnmal am jüdischen Friedhof außerhalb von Adelebsen existiert seit 2012. Foto: © Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit/NH

„Klein-Jerusalem“ wurde Adelebsen im 19. Jahrhundert auch genannt – in Anlehnung an die wichtige Rolle, die jüdische Geschäftsleute im Flecken zu dieser Zeit spielten. Unter den Nazis wurden alle jüdischen Einwohner in das KZ Theresienstadt verschleppt. Nur ein Überlebender kehrte nach Ende des Krieges von dort zurück.

Adelebsen – Um an das Leid und Grauen der damaligen Deportationen zu erinnern, entstand die Idee, eine Erinnerungsstele in Adelebsen zu errichten. Doch bei der Gemeinderatssitzung im Juni fand sich keine Mehrheit für das Projekt, für das sich auch der Adelebser Bürgermeister Holger Frase (SPD) persönlich engagiert hatte. Nur drei der 13 anwesenden Ratsmitglieder stimmten für den Vorschlag.

Zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Theologen Prof. Dr. Berndt Schaller und David Blank, Nachfahre einer jüdischen Großmutter aus Adelebsen, hatte Holger Frase einen Text für das Mahnmal erarbeitet, das am Ort der damaligen Deportationen – dem Ratskeller – angebracht werden sollte. Wie Frase sagte, ergaben Diskussionen nach der Abstimmung, dass einige Gemeinderatsmitglieder sich vor allem am Ort der Stele störten.

Der 77-jährige und in Jerusalem lebende David Blank wollte das nicht hinnehmen – auch weil er einer der letzten noch lebenden Nachkommen der Juden aus Adelebsen ist. Er suchte deshalb Hilfe bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Göttingen. Diese schrieb kürzlich einen Brief an den Gemeinderat, in dem sie eindringlich darum bat, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. „Eine Gedenktafel mitten in Adelebsen, wie sie in gemeinsamer Planung von Herrn Blank, Herrn Schaller und Herrn Frase vorgesehen war, und zwar an der Stelle, von der aus die jüdischen Menschen den Weg in die Deportation antreten mussten, wäre eine angemessene Form des Gedenkens und würde die bei Ihnen bereits gelebte Erinnerungskultur für alle sichtbar machen“, hieß in dem von der Vorsitzenden Esther Heling-Hitzemann unterzeichneten Schreiben.

Unter Einfluss dieses Briefes, der politischen Gesamtumstände und der nach der Abstimmung entbrannten Diskussion um einen geeigneten Ort, gibt es nun wieder Hoffnung: So bestätigte Bürgermeister Frase gegenüber unserer Zeitung, dass die Erinnerungsstele am 3. Dezember erneut auf der Tagesordnung der Gemeinderatssitzung stehen soll.

Adelebsen erinnert seit 2012 bereits mit einer Gedenktafel am jüdischen Friedhof an „Kinder, Frauen und Männer der jüdischen Gemeinde Adelebsen, die in den Jahren 1933 bis 1945 vertrieben und ermordet wurden“. Allerdings liegt der Friedhof – ein Zeichen der jahrhundertelangen Ausgrenzung – außerhalb des Kernortes. Und genau dort – im Ort Adelebsen, möglichst am Platz der Deportationen – an die Vergangenheit zu erinnern, war die Idee der geplanten neuen Stele. „Eine gute Idee“, wie Frase sagt.

Für David Blank ist ein konkreter Erinnerungsort in Adelebsen sogar so etwas wie der Abschluss einer jahrzehntelangen Forschungsarbeit zu jüdischen Familien in Adelebsen. Veröffentlicht hat er das online: jewsofadelebsen.com

In den vergangenen vier Jahren stand gemeinsam mit dem ehemaligen GCJZ-Vorsitzenden Berndt Schaller das Projekt Erinnerungsstele für Adelebsen im Mittelpunkt. Die Inschrift, der Preis – nach Informationen unserer Zeitung etwa 2600 Euro – und der vorgesehene Ort standen zum Zeitpunkt der Abstimmung im Juni schon fest. Zumindest Letzteres könnte sich nun ändern – aber vielleicht ja auch das Abstimmungsverhalten der Gemeinderatsmitglieder. Frase zeigte sich dahingehend zumindest „vorsichtig optimistisch“. (Andreas Arens)

Hintergrund: Klein-Jerusalem an der Schwülme
Die jüdische Gemeinde in Adelebsen zählte im 19. Jahrhundert zu den größeren jüdischen Landgemeinden der Region. 1811 befanden sich unter den 1168 Einwohnern des Ortes 97 Juden. Vor allem jüdische Geschäftsleute spielten eine wichtige Rolle, 1859 wurden 15 der 23 Adelebser Geschäfte von jüdischen Bürgern geleitet. So entstand der Spitzname „Klein-Jerusalem“. Während der Novemberpogrome 1938 wurde die örtliche Synagoge von vermutlich aus Göttingen stammenden SS-Angehörigen zerstört. Alle jüdischen Einwohner wurden in der Folge ins Konzentrationslager Theresienstadt im heutigen Tschechien deportiert. (ana)

Gedenken an die Pogromnacht ohne Worte

Dienstag, 10. November 2020 © Göttinger Tageblatt

Jacqueline Jürgenliemk, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler bei der Kranzniederlegung am Synagogendenkmal mei/Foto: Hinzmann

 
 
In diesem Jahr hat es am Abend des 9. November in Göttingen ein anderes, ein der Corona-Pandemie angepasstes Gedenken an die Pogromnacht von 1938 und die Schrecken der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gegeben. Die Veranstaltung am Platz der Synagoge fand ohne Worte statt: Es gab lediglich eine Kranzniederlegung, aber keine Ansprachen. Damit fiel auch ein Beitrag aus, den Schüler des Leistungskurses Geschichte des Max-Planck-Gymnasiums vorbereitet hatten. Umsonst waren ihre Recherchen aber nicht. Was sie herausgefunden haben über die jüdische Göttinger Familie Nussbaum und über das einstige jüdische Leben in der Stadt, wird spätestens zur Sprache gebracht werden bei der Verlegung von weiteren Stolpersteinen im Mai. Die neuen Stolpersteine sollen an diese Familie und ihr Schicksal erinnern. Zudem ist im Internet unter goettingen.de ein Video zu sehen mit Beiträgen des Oberbürgermeisters, der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, der jüdischen Studierendengruppe sowie der Schüler des Max-Planck-Gymnasiums zum Gedenken an die Pogromnacht vor 82 Jahren. Mitglieder der SS hatten die Synagogean der Unteren Maschstraße in der Nacht zum 10. November 1938 in Brand gesetzt

Professor Berndt Schaller erhält posthum Ehrenmedaille

© Stadt Göttingen, Referat für Öffentlichkeitsarbeit

Professor Berndt Schaller wurde vom Rat der Stadt Göttingen im Dezember 2019 die Ehrenmedaille der Stadt Göttingen zuerkannt. Geplant war, ihm diese Ehre anlässlich eines Vortrags im Städtischen Museum Göttingen am 18. März 2020 zuteilwerden zu lassen. Aufgrund der Corona-Pandemie war die Veranstaltung abgesagt worden, die Ehrung sollte nachgeholt werden. In der Nacht auf den 1. Mai 2020 war Professor Schaller verstorben, sodass die Ehrung nicht mehr zustande kam.

 

Professor Berndt Schaller (†) . Foto: Ralf König

Am Freitag, 28. August 2020, wäre er 90 Jahre alt geworden. Dieses Datum nimmt die Stadt zum Anlass, auf die posthume Ehrung hinzuweisen. Ebenfalls aus Anlass des 90. Geburtstages findet ein Gedenkgottesdienst für Professor Schaller statt.

Professor Berndt Schaller hatte sich in vielfacher Weise um die Stadt Göttingen, ihren akademischen Ruf und das Geschichtsbewusstsein sowie das interreligiöse Verständnis ihrer Bürger*innen verdient gemacht. An der Theologischen Fakultät der Georgia Augusta hatte er seit 1972 die von Prof. Jeremias gegründete Abteilung für Judaistik ausgebaut und zu Ansehen gebracht. Mit seinen Publikationen und Vorlesungen hatte er das seit der Judenvernichtung für notwendig erkannte Umdenken in der theologischen Wissenschaft gefördert. Mehr als 15 Jahre lang war er Mitglied der Kommission „Kirche und Judentum“ der Evangelischen Kirche in Deutschland. Auch der Geschichte der jüdischen Studierenden und Dozent*innen der Universität Göttingen und dem Stellenwert des Judentums im Lehrangebot der Universität war er nachgegangen.

Von besonderer regionalgeschichtlicher und gesamtgesellschaftlicher Bedeutung war die Erforschung und Dokumentation der Grabsteininschriften auf den Jüdischen Friedhöfen der Umgebung und weiterer Friedhöfe in ganz Niedersachsen. Bei der oft langwierigen Dokumentation der über 20 Friedhöfe hatte er auch die Studierenden zur Mitarbeit motiviert. Sein Anliegen eines Verständnisses des Judentums als Voraussetzung eines konstruktiven interreligiösen Dialogs hatte Professor Schaller über den Akademischen Bereich hinaus engagiert verfolgt. Seit 1987 war er 14 Jahre lang Vorsitzender der Göttinger Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die mit der Stadt gemeinsam die jährliche Gedenkstunde zum 9. November 1938 am Mahnmal der zerstörten Synagoge ausgerichtet und den interessierten Göttinger*innen vielfältige Veranstaltungen geboten hatte.

In die Zeit seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Gesellschaft fiel auch die Wiederbelebung der Jüdischen Gemeinde Göttingen und die Gründung eines Fördervereins für die Versetzung der Bodenfelder Landsynagoge in das schließlich im Jahre 2008 errichtete Jüdische Zentrum an der Angerstraße. Die Aufbrüche und Abbrüche jüdischen Lebens in Göttingen stellte Professor Schaller in seiner Schrift über die Synagogen der Stadt dar. Auch dem Leben des Göttinger Rabbiners Benno Jacob widmete er eine Publikation. Von 1995 bis 2007 war er evangelischer Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Professor Schaller nahm Gastprofessuren in Heidelberg, Hamburg und Tübingen wahr und unterrichtete im Rahmen des Programms „Studium in Israel“ auch in Jerusalem. Neben seinen bundesweiten und internationalen Aktivitäten war ihm auch die örtliche Verbundenheit wichtig. Er verfolgte aufmerksam das gesellschaftliche Klima in der Stadt und meldete sich zu Wort, wenn es ihm wichtig erschien. Regelmäßig predigte er auch mit bereits eingeschränktem gesundheitlichen Zustand in der Kirche seiner Reformierten Gemeinde an der Unteren Karspüle.

Leid, Klage und Hoffnung

von Michael Schäfer28.01.2020 © Göttinger Tageblatt

Machtvolle Klänge von zwölf Vokalisten: Der Synagogalchor Hannover unter der Leitung von Sören Sönksen in St. Paulus.Foto: Schäfer

Göttingen. Der Synagogalchor Hannover hat am Sonntag in der St.-Paulus-Kirche ein Konzert zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gegeben. Bewegende Wortbeiträge dazu stammten von einer interreligiösen Gruppe Studierender der Göttinger Universität aus Sicht von Juden, Christen und Muslimen.

Nur mit zwölf Sängerinnen und Sängern, je drei in den Stimmlagen Sopran, Alt, Tenor und Bass, war der Synagogalchor Hannover zu seinem Konzert nach Göttingen gekommen. Doch wer befürchtet haben sollte, dass diese geringe Stimmzahl für die Kirche nicht reichen würde, wurde rasch eines Besseren belehrt. Denn Dirigent Sören Sönksen kann sich auf die Stimmstärke seiner Choristen uneingeschränkt verlassen. Ein Großteil von ihnen gehörte zuvor dem von Andor Izsák geleiteten Europäischen Synagogalchor an, der in früheren Jahren ebenfalls in Göttingen aufgetreten ist.

Das musikalische Programm umfasste jüdische Musik des 19. und 20. Jahrhunderts, vor allem Psalmvertonungen. Sechs der 16 vorgestellten Stücke stammten von Louis Lewandowski (1821-1894), der für die Neubelebung der jüdischen Liturgie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts maßgeblich verantwortlich war. Stilistisch ähneln seine Chorsätze der (christlichen) Kirchenmusik Mendelssohns in ihrem differenzierten Ausdruck und der fein gearbeiteten Harmonik. Lewandowskis Hauptwirkungsstätte war Berlin. Ergänzt wurde das Programm durch Werke des ungarischen Komponisten Zoltán Kodály (1882-1967), des Wiener jüdischen Sakralmusikers Moritz Deutsch (1818-1892), des Münchner jüdischen Kantors Max Löwenstamm (1814-1881), durch Vokalsätze von Alfred Rose (1855-1919), der als Kantor der Synagogalgemeinde in Hannover wirkte, sowie von Alfred Koerppen (geboren 1926), der viele Jahre als Professor für Komposition an der Musikhochschule in Hannover lehrte und dem Synagogalchor Hannover eine Vertonung des Totengebets Kaddisch gewidmet hat. Dazu kamen Stücke von Moritz Henle (1850-1925), der als jüdischer Kantor zunächst in Ulm, später am Hamburger Tempel wirkte, und eine Psalmvertonung von Franz Schubert.

Das alles waren eindrucksvolle Zeugnisse einer jüdischen Sakralmusik, die – wie an den Wirkungsorten der Komponisten abzulesen – lange Zeit in Deutschland und den angrenzenden Ländern sehr lebendig war. Vor allem ist es Andor Izsák zu verdanken, dass dieses religiöse Kulturgut heute wieder Verbreitung findet. Dazu trägt der Synagogalchor Hannover auf sehr professionelle Weise bei, wie dieses Konzert nachdrücklich bewies: mit vielfältig differenzierter Dynamik sowie einem homogenen Chorklang. Aus ihm traten bisweilen einige Stimmen – vor allem eine im Programm ungenannte Sopranistin – solistisch machtvoll hervor, um sich anschließend aber wieder nahtlos in den Gesamtklang einzufügen.

Was diesen Abend aber zu einem besonders bewegenden Erlebnis werden ließ, waren die Wortbeiträge der Studierenden. Sie trugen, jeder aus Sicht seiner eigenen Religion, kurze, eindringliche Texte zu den Themen Leid, Klage und Hoffnung vor, Gedichte, Gebetstexte, Bibeltexte, Suren aus dem Koran, Dichtungen islamischer Sufi-Mystiker. Wenn ein Muslim Dichterworte wie „Es gibt Hoffnungen, es gibt Sonne“ zitiert und es anschließend in einem jüdischen Text heißt „Ich glaube an die Zukunft, noch immer glaube ich an den Menschen, an seinen Geist, seinen Verstand“, dann bekommt das Thema Hoffnung einen wunderbar solidarischen Sinn. Zum Schluss dieses Abends, veranstaltet von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen, spendete Jacqueline Jürgenliemk, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Göttingen, singend der versammelten Gemeinde den Aaronitischen Priestersegen, endend mit den Worten „Der Ewige gebe dir Frieden.“ Mit ihrem kräftigen, lang anhaltenden Beifall zeigten die Zuhörer, dass sie diese Botschaft erreicht hatte.

2019

Wenn Geschichte vor der eigenen Haustür sichtbar wird

Thema des Tages10.12.2019 © Göttinger Tageblatt

17 neue Stolpersteine in der Göttinger Innenstadt

Symbole des Gedenkens an Judenverfolgung 08.12.19 21:20, ©HNA

Herr der Stolpersteine: Der Kölner Gunter Demnig ist Initiator der Aktion. Mehr als 63 000 Steine erinnern an das Schicksal jüdischer Menschen. Archivfoto: Judith Lacroix

Die Uni-Stadt erhält auf Betreiben der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit am Montag 17 weitere Stolpersteine.

Allein neun der glänzenden Pflastersteine werden ab 11 Uhr vor dem C&A-Kaufhaus von dem Kölner Künstler Gunter Demnig gesetzt. Acht Steine werden danach an der Bühlstraße 28a verlegt – in Erinnerung an das Schicksal jüdischer Kaufmannsfamilien in Göttingen.

Textilkaufhaus Gräfenberg

Beide Orte stehen in Verbindung mit einer Göttinger Unternehmerfamilie. Am Ort der heutigen C&A-Filiale betrieben die Familien Richard und Hugo Gräfenberg das Textilkaufhaus Louis Gräfenberg.

Urenkel kommen aus den USA

Bei der Verlegung werden zwei Urenkel von Meta Müller, geb. Gräfenberg, dabei sein. Auch kommen elf Mitglieder der Familie Gräfenberg aus den USA angereist

Familie Gräfenberg

Stolpersteine werden stets dort gesetzt, wo jüdische Mitmenschen wohnten, die von den Nazis verschleppt und meist in Konzentrationslagern getötet wurden. Die Geschichte, der ursprünglich aus Adelebsen stammenden Familien Gräfenberg ist eine tragische, auch, wenn nicht alle getötet wurden, steht ihr Schicksal exemplarisch für das Leid, dass die Nazis über jüdische Menschen, auch in Göttingen und der Region, brachten.

Pogromnacht-Gedenken

Daran erinnerten kürzlich auch die Schülerinnen und Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums und Lehrer Mathias Behn während der von ihnen gestalteten Feierstunde am Platz der Synagoge zur Pogromnacht am 9. November 1938. „Auch die Überlebenden schreckliches Leid durch das Vorgehen der Nazis erleiden mussten.“

Geschäft 1935 verkauft

1875 eröffneten die Gräfenbergs in der Weender Straße 39 ein Bekleidungsgeschäft. Selbst nach der Weltwirtschaftskrise beschäftigt das Unternehmen 1933 noch mehr als 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Am 28. März 1933 werden Scheiben eingeworfen, auch Hugo Gräfenbergs Wohnung in der Baurat-Gerber-Straße wird überfallen. Das massive Vorgehen der NSDAP gegen jüdische Geschäftsleute aber zeigt auch bei den Gräfenbergs schnell Wirkung: 1935 wird das Geschäft unter Wert zwangsverkauft.

Kummertod

Von diesen Drangsalierungen schwer gezeichnet stirbt Hugo Gräfenberg gebrochen im Juni 1934, seine Frau im Dezember. Sie werden nur 64 und 55 Jahre alt.

Und es gibt weitere Opfer in der Großfamilie: Hugos Schwiegermutter, Anna Rosenberg, überlebt ihre Tochter Amalie und den Schwiegersohn. Sie wird 1942 deportiert – nach Theresienstadt ins KZ. Dort stirbt sie mit 85 Jahren sieben Monate später. Ihr Bruder Alfred stirbt im Ghetto von Riga.

Dank Ehefrau überlebt

Richard Gräfenberg überlebt, wird nicht deportiert, weil er mit der Nicht-Jüdin Helene verheiratet ist. Die Wohnung Gräfenbergs in der Planckstraße 12 ist nach dem Krieg Anlaufpunkt für viele Juden, vor allem für jene, die aus Osteuropa zurückkehren und für Mitglieder der jüdischen Gemeinde und meist Verwandte suchen, oft nicht finden. Es ist das Schicksal unzähliger, unschuldiger Menschen jüdischen Glaubens nach dem Krieg und der Verfolgung durch die Nazis. (tko)

Streuobstwiese Dramfeld: Jüdische Gemeinde Göttingen spendet Apfelbäume

Streuobstwiese Dramfeld 08:41 Uhr / 04.11.19 © Hessisch-Niedersächsische Allgemeine

Baumspende: Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Göttingen haben die Streuobstwiese des Landschaftspflegeverbandes „aufgeforstet“, sie spendeten sechs Apfelbäume. Darüber freute sich Ulrich Scheidel. Foto: Per Schröter

Die Jüdische Gemeinde Göttingen hat sechs junge Bäume für eine Streuobstwiese bei Dramfeld (Gemeinde Rosdorf) gespendet.

„Wir sehen uns als Teil der Gesellschaft und haben uns überlegt, wie wir das auch nach außen hin zeigen können“, sagt Gemeindesprecherin Katja Langenbach. Beim „Tu biSchevat“, dem jüdischen Neujahrsfest der Bäume, das immer im Februar gefeiert wird, sei dann die Idee einer Baumspende aufgekommen. „Als wir erfahren haben, dass der Landschaftspflegeverband des Landkreises Göttingen diese Streuobstwiese hier bei Dramfeld hat und für neue Bäume auf Spenden angewiesen ist, haben wir uns dafür entschieden“, berichtet Langenbach.

Die Spende besteht aus vier Zwetschen- und zwei Apfelbäumen. „Alles alte Sorten wie die übrigen Bäume hier auch“, betont Ulrich Scheidel vom Landschaftspflegeverband. Er freue sich jedoch nicht nur über die Spende. „Beinahe noch mehr freue ich mich darüber, dass sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Göttingen für dieses Thema interessieren und heute auch hierher gekommen sind, um mit uns zusammen die Bäume einzupflanzen“, sagte Scheidel am Rande der Pflanzaktion, die bei Nebel stattfand. (per)

Gedenken an die Reichspogromnacht in Göttingen

Göttingen / Platz der Synagoge 17:56 Uhr / 10.11.2019 © Göttinger Tageblatt

Mit einer Gedenkveranstaltung haben Menschen am Sonnabend an die Reichspogromnacht vor 81 Jahren erinnert. In Göttingen kamen mehrere Hundert Bürger zum Mahnmal der 1938 zerstörten Synagoge.

„Zur Erinnerung an die Schandtat, als ein Zeichen der Umkehr in Göttingen“: das Mahnmal für die 1938 niedergebrannte Synagoge. Quelle: Swen Pförtner

Göttingen.„In Göttingen hat es lang, ja, zu lange gedauert, bis das unbequeme Gedenken und der Widerstand gegen das Vergessen und Verdrängen zum Bestandteil der Stadtkultur geworden ist“, sagte Göttingens Bürgermeister Ulrich Holefleisch (Grüne) bei der Gedenkfeier am Synagogenmahnmal. Zuvor hatte die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Göttingen (GCJZ), Esther Heling-Hitzemann daran erinnert, dass in Göttingen erst 1973 das Mahnmal für die in der Nacht zum 10. November von Mitgliedern der SS niedergebrannte Synagoge errichtet worden war. „Zur Erinnerung an die Schandtat, als ein Zeichen der Umkehr in Göttingen“, sagte Heling-Hitzemann.

„Viele Göttinger haben Schuld auf sich geladen“

Mit den Novemberpogromen vor 81 Jahren gingen die Nationalsozialisten zur offenen Gewalt gegen die jüdische Minderheit über. In der reichsweiten Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten unzählige Synagogen, jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden verwüstet und jüdische Bürger misshandelt und getötet –auch in Göttingen. 282 jüdische Bürger aus Stadt und Landkreis Göttingen ermorderten die Nationalsozialisten während ihrer Herrschaft. Ihre Namen finden sich auf fünf Bronze-Namenstafeln am Mahnmal.

Göttinger Christen, fuhr Holefleisch, hätten in dieser Nacht gegen das „erbarmungslose“ Vorgehen der Nationalsozialisten keinen Widerstand geleistet. „Viele in Göttingen haben Schuld auf sich geladen.“ Heute sei und bleibe Göttingen „bunt“. Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit hätten in der Stadt keinen Platz. „Wir sehen uns in der Pflicht, unser Möglichstes zu tun, um diesen menschenverachtenden Haltungen schon im Keim einen Riegel vorzuschieben“, sagte Holefleisch.

Wenn der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, nach der Wahl „des Faschisten Höcke“ befinde, die Lage in Deutschland sei ernst, dann könne er dem nur beipflichten, so Holefleisch. Er plädierte dafür, mehr für die Demokratie zu tun – in den Familien, Schulen, Institutionen und Politik.

„Klare Kante“ gegen Antisemitismus

Marko Khrapko vom Verband Jüdischer Studierender erinnerte daran, dass es selbstverständlich jüdisches Leben in Göttingen, aber auch stets präsenten, latenten Antisemitismus gebe. „Es ist immer noch schwierig sich zu erkennen zu geben“, sagte Khrapko. „Unreflektierter Alltagsrassismus ist überall anzutreffen.“ Das Wort „Jude“ gelte oft nur noch als Schimpfwort. „Was bedeutet es, fremd in der eigenen Stadt zu sein?“, fragte er. „Wie kann es sein, dass Hakenkreuze an der Uni-Bibliothek auftauchen?“ Auch reiche es nicht aus, nur nach Anschlägen wie dem von Halle auf die Straße zu gehen. Es ändere sich erst etwas, „wenn jeder nach links und rechts schaut und Diskriminierung begegnet.“ Jeder müsse im Alltag „klare Kante“ gegen Antisemitismus zeigen, forderte Khrapko.

Kampagnen, Boykotte und Angriffe

Exemplarisch für das Leid von Göttinger Juden während der Nazi-Herrschaft schilderten Schüler des Theodor-Heuss-Gymnasiums das Schicksal der Familien Gräfenberg um die beiden Brüder Hugo und Richard, die bis 1935 an der Weender Straße 39 ein gut gehendes Textilkaufhaus betrieben. Schon ab 1933 seien die Familien Ziele von Kampagnen, Boykotten und Angriffen der SA und SS gewesen. Familienmitglieder landeten im Gefängnis, wurden von Nationalsozialisten in Ghettos und Konzentrationslager verschleppt und getötet. Einigen gelang die Flucht in die USA und Palästina.

Am 9. Dezember sind Nachfahren der Familien Gräfenberg in Göttingen. Stolpersteine für die Familie sollen verlegt werden.

Die Gedenkstunde am Mahnmal der Synagoge endete mit dem Kaddish, dem jüdischen Totengebet.

„Auf Augenhöhe“ Heling-Hitzemann ist neue Vorsitzende der GCJZ

Göttingen / Esther Heling-Hitzemann 13:00 Uhr / 09.04.2019 © Göttinger Tageblatt

Nach dem Rücktritt des bisherigen Vorstands haben die Mitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit einen neuen Vorstand gewählt. An dessen Spitze steht Esther Heling-Hitzemann.

Esther Heling-Hitzemann ist die neue Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen.
Quelle: R

Göttingen. Die Theologin Esther Heling-Hitzemann ist die neue Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Göttingen. Die 61-Jährige gehört zur Reformierten Gemeinde Göttingen, ist dort als Predigerin im Ehrenamt ordiniert und wohnt in Herberhausen. Bis Sommer 2018 hat sie als Lehrerin für die Fächer Deutsch und evangelische Religion am Gymnasium Herzberg gearbeitet, sie war auch als Leiterin der Fachgruppe Religion tätig. „Im Sommer bin ich dort ausgeschieden und habe jetzt Zeit für neue Aufgaben“, sagt sie gegenüber dem Tageblatt. Als die Frage von GCJZ-Mitgliedern an sie herangetragen wurde, ob sie sich die Arbeit als Vorsitzende vorstellen kann, habe sie ja gesagt. Denn: „Es ist mir wichtig, dass die Gesellschaft weiter arbeiten kann.“

Zerwürfnis Anfang des Jahres

In der GCJZ ist die gebürtige Rheinland-Pfälzerin seit knapp 20 Jahren. Sie hat mehrfach in Projektchören der Gesellschaft mitgesungen. Bereits als Lehrerin habe sie versucht, Beziehungen zwischen der Schule und der Jüdischen Gemeinde Göttingen durch Besuche der Schüler in der Synagoge herzustellen, um das Verständnis füreinander zu fördern. „Mir liegt eine Zusammenarbeit von christlicher und jüdischer Seite auf Augenhöhe am Herzen“, betont Heling-Hitzemann. Die GCJZ habe in der Zeit ihres inzwischen 60-jährigen Bestehens „unheimlich viel Gutes und Wertvolles geleistet“, betont die Mutter von drei erwachsenen Kindern. Ihre kurzzeitige Vorgängerin im Amt, Bettina Kratz-Ritter (sie hatte das Amt nach dem Rücktritt des Vorsitzenden Heiner J. Willen vor einem Monat kommissarisch übernommen), habe nach einem Zerwürfnis Anfang des Jahres Gespräche mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde Göttingen geführt, auf die jetzt aufgebaut werden könne. Befragt nach konkreten Ideen, sagt Heling-Hitzemann, dass die gemeinsam im neugewählten Vorstand erarbeitet werden sollen.

Zu einem Missverhältnis zwischen christlicher und jüdischer Seite war es aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen bei der Gestaltung eines Konzertes zum Holocaust-Gedenktages gekommen.

Von Ulrich Meinhard

Göttinger Verein wieder handlungsfähig

Göttingen / Neuer Vorstand 15:00 Uhr / 04.04.2019 © Göttinger Tageblatt

Nach viel Kritik von Mitgliedern der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit war der Vorstand am 11. März fast vollständig zurückgetreten. Jetzt ist ein neuer Vorstand gewählt worden.

Neue Vorsitzende der Gesellschaft ist Esther Heling-Hitzemann (M.). Als Stellvertreter stehen ihr Ruth Geiß-Friedlander und Achim Doerfer zur Seite. Quelle:R.

Göttingen. Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Göttingen hat einen neuen Vorstand. Der ist während einer ordentlichen Mitgliederversammlung am Mittwochabend gewählt worden. „Damit ist der Verein wieder handlungsfähig“, informiert Bettina Kratz-Ritter in einer Mitteilung. Die evangelische Theologin hatte in den vergangenen Wochen kommissarisch den Vorsitz der GCJZ übernommen, nachdem der Vorstand zurückgetreten war. Der Schritt erfolgte nach einer von viel Kritik gegenüber dem Vorstand verbundenen Mitgliederversammlung am 11. März.

Unstimmigkeiten wegen Gedenkkonzert

Hintergrund der Unstimmigkeiten war das Krisenmanagement rund um das Holocaust-Gedenkkonzert am 27. Januar und speziell der Umgang mit dem jüdischen Kantor Daniel Kempin. Die bisherigen Vorstandsmitglieder traten nicht wieder zur Wahl an. Auch Bettina Kratz-Ritter ließ sich nicht mehr zur Wahl aufstellen. Zum neuen Vorstand gehören Personen, die sich zum Teil schon seit Jahren im christlich-jüdischen Dialog und in der Friedensarbeit engagieren.

Die Mitglieder der GCJZ wählten die Theologin Esther Heling-Hitzemann zur neuen 1. Vorsitzenden. Ihr zur Seite stehen die Biochemikerin Ruth Geiß-Friedlander und der Rechtsanwalt Achim Doerfer als Stellvertreter. Beisitzer sind die Theologiestudentin Miriam Uetrecht, der Pastor i.R. Ulrich Kusche sowie die Historikerinnen Maria Rhode und Irene Schultens. Die Göttinger Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist 1959 gegründet worden.

Von Ulrich Meinhard

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2018

„Dafür schämen wir uns bis auf den heutigen Tag“: Gedenkfeier am 9.November 2018

Mehrere hundert Teilnehmer 09.11.18 19:17 ©HNA

Gedenkstunde auf dem Platz der Synagoge in Göttingen: Mehrere hundert erinnerten an die Pogromnacht vor 80 Jahren. An dieser Stelle brannte die Synagoge. © Bernd Schlegel, HNA

Göttingen. In einer bewegenden Gedenkstunde wurde am Freitag in den frühen Abendstunden auf dem Platz der Synagoge in Göttingen an die Pogromnacht vor 80 Jahren erinnert. Damals brannte das jüdische Gotteshaus nieder.

Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann (SPD) erinnerte an den Tag und sagte: „Dafür schämen wir Göttinger uns bis heute.“ Kurz nach 1 Uhr habe die Synagoge gebrannt und niemand habe geholfen, den Brand zu löschen. Gleichzeitig machte er deutlich, dass der 9. November wie kein anderer Tag die deutsche Geschichte geprägt habe.

Zuvor hatte Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler mit Blick auf stärker werdende rechte Tendenzen in Deutschland deutlich gemacht: „Unsere Stadt bleibt bunt und vielfältig.“ Er beklagte, dass es in Deutschland ein Erstarken einer Politik gibt, die Gewalt und Hass schürt. Mit Blick auf die Nacht vor 80 Jahren sagte Köhler: Das Geschehene macht uns sprachlos, aber wir müssen immer wieder daran erinnern.“

Zuvor hatte Heiner J. Willen von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit die Teilnehmer der Göttinger Gedenkstunde begrüßt. Er beklagte, dass im Bundestag eine Fraktion vertreten sei, deren Parteivorsitzender die Hitler-Zeit relativiert habe: Die Nazis seien „nur ein Vogelschiss“ in 1000 Jahren deutscher Geschichte.

Auf der Flöte spielte Antje Vetterlein-Helm Werke von Astor Piazolla, Johann Sebastian Bach und Ernst Bloch. Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung sprachen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde das Totengebet Kaddisch.

18 weitere Stolpersteine zum Erinnern in der Göttinger Innenstadt

Göttingen / Stolpersteine 09.02.2018 © HNA

Aktion in der Göttinger Innenstadt: Der Kölner Künstler Gunter Demnig verlegte die von ihm gefertigten Stolpersteine auch diesmal wieder selbst. © Schröter

Göttingen. In der Innenstadt erinnern 18 neue Stolpersteine, finanziert von Paten, an das Schicksal von jüdischen Mitbürgern, die Opfer des Nationalsozialismus wurden.

Der Kölner Künstler Gunter Demnig setzte an vier Stellen insgesamt 18 Steine in das Straßenpflaster.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitierte Heiner J. Willen von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) aus dem Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums. Um genau dies zu verhindern, begann die GCJZ vor zwei Jahren zusammen mit der Stadt Göttingen und dem Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung, zehn mal zehn Zentimeter große Gedenktafeln vor den ehemaligen Wohnhäusern Göttinger NS-Opfer zu verlegen, auf denen Name und Geburtsdatum der Betroffenen sowie Informationen zu Deportation, Flucht oder Ermordung zu lesen sind. Die jetzige Aktion war bereits die vierte dieser Art. „Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten“, sagt Gunter Demnig, der in den vergangenen Jahren in Deutschland und anderen Ländern schon mehr als 50 000 Stolpersteine verlegt und damit das weltweit größte dezentrale Mahnmal für die Opfer des Dritten Reichs geschaffen hat.

Inhaltlich und musikalisch mitgestaltet wurde die Verlegung am Mittwoch unter anderem durch Schüler des Felix-Klein-Gymnasiums und des Max-Planck-Gymnasiums. Sie stellten den zahlreichen Interessierten, die der Verlegung der Stolpersteine beiwohnten, die Lebensgeschichten der früheren Göttinger vor. Verlegt wurden Steine in der Weender Straße vor dem Geschäftshaus Wolsdorff, Im Papendiek (Haus Nummer 3), In der Groner Straße 52 und in der Lotzestraße 20a. Finanziert wurde die Aktion durch Paten, die pro Stolperstein 125 Euro spendeten. „Und ich freue mich wirklich sehr, dass wir auch diesmal wieder für alle Steine Paten gefunden haben“, sagte Heiner J. Willen.

„Immer noch finden sich kleine Spuren“

Göttingen 06.02.2018 © Göttinger Tageblatt

Klaus Sievert (links) zeigt Heiner Willen Dokumente aus dem Familienarchiv. Sein Vater kaufte 1939 das Haus von Max Silbergleit. Photo © Quelle: r

Göttingen.. Auf dem Tisch liegt ein aufgeklapptes Fotoalbum, daneben ein anwaltliches Schriftstück aus dem Jahr 1939. Klaus Sievert hält eine Aufnahme in der Hand, zeigt sie dem Besucher. Zu sehen ist ein verbarrikadiertes Schaufenster, das Geschäft dahinter waren kurz zuvor zerschlagen worden. Es ist das Geschäft der Familie Silbergleit im Papendiek 3. Das Foto hat sein Vater aus einem gegenüberliegenden Geschäft gemacht – zwei Tage nach der Reichspogromnacht im November 1938. Sein Besucher ist Heiner Willen, Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen.

Sievert war zweieinhalb Jahre alt, als in Göttingen die Synagoge brannte und überall in der Nachbarschaft die Fensterscheiben zu Bruch gingen. Und er glaubt, sich an die Nacht erinnern zu können, als Klirren und lautes Geschrei durch das Fenster seines Kinderzimmers drangen. Auch dass er auf den Schultern seines Vaters die Löscharbeiten in der Oberen Masch beobachtete, hat er noch vor Augen.

Ladenzeile im Papendiek in der Nachkriegszeit. Quelle: r

Wie die Silbergleits betrieb auch seine Familie ein Geschäft für Schreibwaren und Lederwaren im Papendiek. Sein Großvater hatte das Haus mit den Nummern 4 und 5 kurz nach der Jahrhundertwende neu aufgebaut. Im Erdgeschoss waren zwei Geschäfte, in den oberen Etagen waren Wohnungen untergebracht. 1909 zogen Lea und Max Silbergleit in das schmale Nachbarhaus. Hier erstreckte sich die Ladenfläche über zwei Etagen.

Kurz nach den Übergriffen auf sein Geschäft 1938 musste Silbergleit wie alle jüdischen Geschäftsleute sein Gewerbe abmelden. Wenige Monate später verkaufte er das Haus samt Geschäft an seinen Konkurrenten Kurt Sievert für 12 000 Reichsmark und lebte künftig mit seiner Frau zur Miete in zwei Zimmern des ehemals eigenen Hauses. Als sie im März 1942 deportiert wurden, schufen Handwerker einen Durchbruch zwischen den Häusern: „Ich wurde als kleiner Junge durch das Loch in der Wand in das andere Haus gehoben und stand in einem komplett eingerichteten und verlassenen Wohnzimmer“, erinnert sich Sievert. Die ehemaligen Bewohner lebten zu diesem Zeitpunkt schon im Warschauer Ghetto. Später wurden sie in Treblinka ermordet.

Eine mittlerweile vergilbte Terminvereinbarung eines Göttinger Notars dokumentiert den Verkauf des Hauses 1938. Ein Gerichtsbeschluss aus den 50er Jahren beweist, dass das Gebäude mit der Hausnummer 3 allerdings nicht im Besitz der Familie Sievert geblieben ist, obwohl es ihnen im Zuge der Restitutionsverfahren zu günstigen Konditionen angeboten wurde.

Als er von der Verlegung der Stolpersteine erfuhr, wandte sich Sievert an Willen. Er bot ihm an, ihm die erhaltenen Dokumente und Fotos aus dem Familienbestand als Kopien zur Verfügung zu stellen. „Es ist eine absolute Seltenheit, dass sich Zeitzeugen an uns wenden und ihre Geschichte erzählen.“ Oft genug ist die Auseinandersetzung mit der Familienhistorie in der Zeit des Nationalsozialismus schmerzhaft und für die Nachkommen unangenehm.

Willen nahm Sieverts Angebot dankend an und vereinbarte mit dem Stadtarchiv eine Übergabe der Akten. „Für uns ist das eine wunderbare Sache.“ Man versuche gemeinsam, die Erinnerungen an das jüdische Leben in Göttingen wach zu halten – wie beispielsweise mit der Verlegung der Stolpersteine. Und mit dem Blick auf die Dokumente ergänzt er: „Immer noch finden sich kleine Spuren.“

Von Markus Scharf

Mit großer Ernsthaftigkeit und hoher Konzentration

Von Maria Widemann 31.01.2018 © 2018 Kulturbüro Göttingen -- mit freundlicher Genehmigung

Der Göttinger Knabenchor, der OHG Konzertchor und der Projektchor VokalArt unter ihrem Leiter Michael Krause © Photo: Widemann

Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus fand in der St. Johanniskirche ein gemeinsames Konzert von drei Göttinger Chören unter der Leitung von Michael Krause statt.

Es musizierten der Göttinger Knabenchor, der Konzertchor des Otto-Hahn-Gymnasiums (OHG) und VokalArt, ein Projektchor, der aus ehemaligen Sängerinnen und Sängern der beiden anderen Ensembles besteht. Veranstalter war die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Vorstandsmitglied Pfarrer Hans Haase stellte in seiner Gedenkansprache anhand persönlicher Eindrücke den Zusammenhang zwischen den damaligen Geschehnissen und den heutigen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft her: „Nie wieder“ - ist nicht relativierbar.

Die Vergangenheit vergegenwärtigen - das gelang besonders eindrücklich in den drei Liedern aus Theresienstadt, die im Ghetto komponiert wurden und die vom Bariton Timotheus Maas vorgetragen wurden. Er übernahm auch den Solopart in den 7 Gesängen des Li-Tai-pe, die Franz Herzog, der Gründer des Göttinger Knabenchores, für diesen komponierte. Die Texte stammen aus dem sechsten Jahrhundert und schildern die Schrecken des Krieges in teils drastischen Worten. Die Vertonung nimmt diese Schrecken mit der aktuellen Klangsprache auf. Eine Herausforderung für die jungen Sänger des Knabenchors, der sie sich mit Bravour stellten. Auch der OHG Konzertchor brachte ein modernes, größeres Werk mit Bob Chilcotts „Five Days that Changed the World“ in das Programm ein. VokalArt sang die Vertonung des 84. Psalm von Louis Lewandowski in klangschöner Interpretation. Alle drei Ensembles waren nicht nur sicher in der Intonation, sondern nahmen sich auch der kleineren Werke des Abends wie dem Morgengebet ADON OLAM (Herr der Welt) mit großer Ernsthaftigkeit und hoher Konzentration an. Den Kindern und Jugendlichen war anzumerken, dass sie sich mit den Texten und dem geschichtlichen Hintergrund der Veranstaltung auseinandergesetzt hatten.

Über zwei Stunden hielt die Spannung bei Mitwirkenden und Publikum an, bis zum Schluss alle drei Chöre ein Dona nobis pacem gemeinsam sangen und damit das Publikum in den Abend entließen. Dieses bedankte sich mit langem Applaus.

18 neue Stolpersteine in Göttingen

Göttingen / Stolpersteine23.01.2018 © 2018 Göttinger Tageblatt

Heiner J. Willen, Vorsitzender der Gesellschaft für christliich-jüdische Zusammenarbeit, Izabela Mihaljevic, Volontärin am Städtischen Museum , Peter Aufgebauer, Vorsitzende des Geschichtsvereins, und der Leiter des Städtischen Museums, Ernst Böhme, (v. li.) vor dem ehemaligen Geschäft der Familie Hahn.
Quelle: Niklas Richter

Rund 20 Stolpersteine erinnern in Göttingen an jüdische Familien, die in Göttingen lebten und von den Nationalsozialisten umge­bracht wurden. Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Geschichts­werkstatt und das Städtische Museum wollen jetzt 18 weitere Steine verlegen lassen

Göttingen. Rund 20 Stolpersteine erinnern auf Fußwegen in Göttingen an jüdische Familien, die einst in Göttingen lebten und von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Geschichtswerkstatt und das Städtische Museum wollen jetzt 18 weitere Steine verlegen lassen. Der Künstler Gunter Demnig, der die Rechte an der Idee hält, wird sie Anfang Februar installieren.

Demnig kommt am Mittwoch, 7. Februar, nach Göttingen und wird ab 13.30 Uhr die Steine an verschiedenen Orten installieren. Er hält die Rechte an der Idee: quadratische Betonsteine, oben eine Messingplatte mit Namen und Lebensdaten von Juden, die von den Nationalsozialisten in Konzentrationslagern (KZ) umgebracht wurden oder an den Folgen ihrer Vertreibung zu Grunde gingen.

Demnig beginnt vor dem Haus Weender Straße 70. Hier hatten die Brüder Max Raffael und Nathan Hahn und ihre Ehefrauen Gertrud und Betty ihr Geschäft. Zwei von ihnen wurden ihn Riga ermordet, die beiden anderen im KZ Treblinka. An sie sollen die vier Stolpersteine erinnern, die Demnig in den Straßenbelag einlassen wird.

Die zweite Station ist vor dem Haus Papendiek 3 geplant. Hier lebten Lea und Max Silbergleit. Beide wurden 1942 ins Ghetto Warschau deportiert und später in Treblinka umgebracht. Rosa und Paul Silbergleit lebten in der Groner Straße 52, auch sie fanden in Treblinka den Tod. Vor der Lotzestraße 20a schließlich soll an Aenne und Eugen Meininger erinnert werden. Er starb entrechtet 1935, sie wurde in Auschwitz getötet.

Begleitet wird das Projekt diesmal von Schülern des Max-Planck- und des Felix-Klein-Gymnasiums, die sich mit der Geschichte der Familien auseinandergesetzt haben. Während des Rundgangs und der Stolpersteinsetzungen werden zwei Kamerateams dabei sein. Eines der Teams dreht eine Dokumentation über die Provenienzforschung, die das Städtische Museum als erstes in Niedersachsen umgesetzt habe, erklärte Museumsleiter Ernst Böhme. Das andere Team filmt ein Porträt von Thomas Buergenthal. Seine Mutter war Tochter von Rosa und Paul Silbergleit, verheiratete Buergenthal. Sie überlebte das KZ Auschwitz und wurde aus dem Frauen-KZ Ravensbrück befreit . Später lebte sie mit Sohn Thomas in Göttingen. Der wanderte 1951 in die USA aus und habe unter Eindruck seiner KZ-Erlebnisse dort angefangen, Jura zu studieren, erklärte Peter Aufgebauer, Vorsitzende des Geschichtsvereins. Später hatte er verschiedene Professuren in den USA inne. Von 2000 bis 2010 war er Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Buergenthal werde zur Verlegung der Steine nach Göttingen kommen, sagte Aufgebauer. Und: Buergenthal habe ausdrücklich seine Zustimmung dafür bekundet, eine Voraussetzung, die der Göttinger Stadtrat für eine Genehmigung der gesamten Aktion beschlossen hatte. Dieser Beschluss war notwendig geworden, weil die Jüdische Kultusgemeinde Göttingen anfangs Bedenken gegen die Aktion geäußert hatte. Buergenthal werden mit Kindern und Enkeln anreisen, sagte Böhme. Mit Blick auf die „emotionale und psychische Belastung für die Nachkommen“ sei das „nicht hoch genug“ einzuschätzen.

Zentrales Thema der Provenienzforschung sind Gegenstände der Familie Hahn, die in der Sammlung des Museums entdeckt wurden. Sie seien zurückgegeben worden und dem Museum von der Familie umgehend als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt worden, sagte Böhme – „der bewegendste Moment in meiner Laufbahn“.

Von Peter Krüger-Lenz

Gedenkkonzert in Göttingen am 28.Jan.2018

Von Michael Caspar 22.01.2018 © 2018 Göttinger Tageblatt

Probe des Göttinger Knabenchors für ein Gedenkkonzert für die Opfer des Nationalsozialismus mit Chorleiter Michael Krause.
Quelle: Christina Hinzman

Drei Chöre unter Leitung von Michael Krause gestalten am Sonntag, 28. Januar, um 17 Uhr in der Göttinger Johanniskirche das diesjährige Konzert zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus. Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit organisiert ein solches Konzert zum dritten Mal.

Göttingen. „Eure Intonation ist noch nicht ganz sauber“, mahnt Michael Krause, der Leiter des Göttinger Knabenchors. Und ergänzt ermunternd: „Kommt, das schafft ihr.“ Jungen im Alter zwischen neun und 19 Jahren proben am Freitagabend im Musiksaal im Turm des Felix-Klein-Gymnasiums. Die Tische haben sie zur Seite geräumt, den Flügel in die Mitte geschoben. Dort steht nun Krause, spielt mit einer Hand, gibt mit der anderen den mehrstimmig singenden Schülern die Einsätze.

Auf dem Weg zur Oase

„Ihr sackt gnadenlos ab, lasst euch durch das Stück schleppen“, unterbricht er den Gesang. Er drängt: „Ihr müsst weiter zur Oase. Da gibt es für alle eine Fanta.“ Die Jungen üben das Chorarrangement „Adon Olam“ (Herr der Welt), das dem Gedenkkonzert den Namen gegeben. Komponiert hat das Stück Yehezkel Braun, Kind von Auswanderern nach Palästina. Als Grundlage diente ihm die Fassung eines Morgengebets von Juden der Oase Djerba.

Antikriegsgedichte

Mit dem Göttinger Knabenchor studiert Krause auch die Vertonungen von sieben Antikriegsgedichten ein, die der Chinese Li Tai Pe (701-762) einst schrieb. Die Kompositionen stammen von Franz Herzog (1917-1986), der den Chor gegründet hat. Die Botschaft: Hass auf andere Menschen führt zu Gewalt, Krieg und Vertreibung. Am Ende verlieren alle.

Nahostkonflikt

Oft, so der Chorleiter, seien sich feindlich gegenüber stehende Menschen gar nicht so fremd. Er will das am Beispiel des Nahostkonflikts zeigen. Der Konzertchor des Otto-Hahn-Gymnasium, dem Schüler der neunten bis zwölften Klasse angehören, trägt am Sonntag ein arabisches Liebeslied vor: „Hal Asmar El-lon“. Eine Schülerin, Marah Alawad, hat Musiklehrer Krause auf das Stück aufmerksam gemacht. Sie ist mir ihren Eltern aus Syrien geflohen. „Die jüdische und arabische Musik hat gleiche Wurzeln“, kommentiert der Chorleiter.

Abschaffung der Sklaverei

Um Ereignisse, die Menschen jenseits kultureller und religiöser Barrieren zusammenbringen können, geht es in Texten von Charles Bennett. Er nennt etwa die Erfindung des Buchdrucks, die Abschaffung der Sklaverei oder die Entdeckung des Penizillins. Bob Chilcott schuf dazu 2013 Gesänge, die der Konzertchor am Sonntag gemeinsam mit VokalArt, dem ehemalige Sänger des Konzertchors angehören, aufführt.

Mahnmal

„Das Konzert schließt die Veranstaltungsreihe ab, die mit der Gedenkfeier anlässlich des 9. Novembers am Synagogenmahnmal beginnt“, erläutert Heiner Willen, der Vorsitzende der Göttinger Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. In den vergangenen zwei Jahren sei jeweils ein Projektchor gebildet worden. Diesmal hätte die Gesellschaft Krause angesprochen, der mit Schülern bereits mehrfach die Veranstaltungen am Mahnmal mitgestaltet hätte. Der katholische Pfarrer Hans Haase werde eine kurze Ansprache halten.

2017

09.11.2017: Gedenken an Reichspogromnacht in Göttingen-- Göttinger Tageblatt v. 12.11.2017

Von Peter Krüger-Lenz | 12.11.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt

In diesem Jahr steht die Gedenkfeier unter dem Titel „Tosendes Schweigen. Die Verfolgung Göttinger Wissenschaftler im Nationalsozialismus“.
Quelle: Christina Hinzmann

Einige Hundert Menschen haben sich am Donnerstagabend zur Gedenkstunde am Mahnmal der zerstörten Synagoge an der Kreuzung Obere und Untere Maschstraße eingefunden. Die Veranstaltung war unter dem Titel „Tosendes Schweigen“ verfolgten Wissenschaftlern im Nationalsozialismus gewidmet.

Göttingen. „Am Ort der zerstörten Synagoge“ sei man zusammengekommen, erklärte Bettina Kratz-Ritter von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Dass Mahnmal an diesem Ort hatte die Stadt Göttingen 1973 errichten lassen.

Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) erinnerte daran, dass mit den November-Pogromen die Menschen jüdischen Glaubens nicht mehr nur drangsaliert worden seien, sondern ihr Leben bedroht war, „als das Land seine Scham verlor“. Die Gleichschaltung an den Universitäten sei da schon längst im Gange gewesen. Vor allem Mitglieder kirchlicher Gemeinden, Oppositionelle und Menschen jüdischen Glaubens seien in Gefahr gewesen. Wissenschaftler wie der Physiker Max Born seien davongejagt worden, sagte Köhler. Die Kollegen und Bürger der Stadt hätten dabei mitgemacht. Das sei „ein Kapitel, das wir nicht tilgen wollen und können“, so Köhler. Göttingen sei eine Stadt der Vielfalt, in der Rassismus keinen Platz habe. Dies müsse betont werden in einer Zeit, in der Menschen mit zweifelhafter Gesinnung in die Parlamente und Gremien einzögen.

Gedenken and die Reichsprogromnacht in Göttingen Zur Bildergalerie →

Geschichtsstudenten der Georg-August-Universität bei Prof. Dirk Schumann erinnerten an sechs Forscher – stellvertretend für 95 Wissenschaftler der Georgia Augusta, die ihre Professuren oder gar ihr Leben verloren. So zitierten sie die Sekretärin des Experimentalphysikers James Franck, der 1925 den Nobelpreis erhalten hatte. Sieben Professoren der Göttinger Universität waren im Jahr 1933 gerade entlassen worden, man wartete auf eine Welle der Solidarität. Doch nichts geschah. Franck trat zurück und emigrierte. 41 Professoren reagierten mit Anfeindungen.

Ebenfalls ins Ausland musste Emmy Noether gehen. Weil sie als herausragende Mathematikerin galt, erhielt sie eine Reihe von Empfehlungen für die Anmeldung ihrer Habilitation – die erst im zweiten Versuch gelang. Sie habilitierte sich als erste Frau in Göttingen, eine jüdische Professorin, die der Sozialdemokratie nahestand.

Der Psychologe Heinrich Düker war seit 1926 Mitglied im Internationalen sozialistischen Kampfbund und engagierte sich gegen die Nationalsozialisten. Er wurde 1936 verhaftet und drei Jahre inhaftiert. Nach seiner Entlassung erhielt er eine Stelle in Berlin, wurde aber 1944 in Göttingen denunziert. 1945 wurde er in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Er überlebte. Nach dem Krieg wurde er rehabilitiert und 1946 zum ersten Oberbürgermeister Göttingens gewählt.

Bernhard Zimmermann, ein Pionier der Sportwissenschaften, musste emigrieren, weil seine Frau jüdischen Glaubens war. Der Psychologe Felix Stern brachte sich um, als die Deportation drohte. Der Forstwissenschaftler Otto Reis starb im KZ Majdanek oder schon auf dem Weg dorthin. Ihn hatten braune Studenten und Wissenschaftler aus der antisemitisch geprägten Forstakademie vertrieben. Mit dem Kaddisch, dem Totengebet, endete die Gedenkstunde sehr berührend.

04.11.2017: Erinnerung an Göttinger Wissenschaftler -- Göttinger Tageblatt v. 04.11.2017

Von Vera Wölk | 04.11.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt

(v.l.) Eric Angermann, Jennifer Stümpel, Julia Kopp und Eca Klay besprechen mit Prof. Dirk Schumann die Texte.

Die zentrale Gedenkveranstaltung am Synagogen-Mahnmal am Donnerstag, 9. November, wird in diesem Jahr von Geschichtsstudenten der Universität Göttingen gestaltet. Die Feier wird ausgerichtet von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Stadt Göttingen.

Göttingen. Die Gedenkveranstaltung, die an die Zerstörung der Synagoge beim Novemberpogrom 1938 erinnert, steht unter der Überschrift „Tosendes Schweigen. Die Verfolgung Göttinger Wissenschaftler im Nationalsozialismus“. Die Geschichtsstudenten, die die Feier mit Prof. Dirk Schumann vorbereiten, wollen am Beispiel von sechs Wissenschaftlern die Schicksale von Wissenschaftlern im Nationalsozialismus aufzeigen. Sie haben dafür Emmy Noether, Bernhard Zimmermann, Heinrich Düker, Felix Stern, Otto Reis und Richard Falck ausgewählt.

„Bei der Auswahl war uns wichtig, dass anhand der Beispiele verschiedene Arten der Verfolgung aufgezeigt werden“, sagen die Studenten. Außerdem handele es sich bei den Beispielen um Persönlichkeiten, die für die Göttinger Universität prägend gewesen seien. So etwa Bernhard Zimmermann, der den Hochschulsporttag Dies ins Leben gerufen habe.

Bereits vor zwei Jahren haben die Studenten mit Schumann die Gedenkveranstaltung gestaltet. Dadurch seien sie bereit gewesen, erneut mitzuwirken. „Wir haben ein besonderes Interesse an diesem Themenbereich“, sagen sie. Derzeit arbeiten die sechs Studenten mit Schumann intensiv an den Texten, die sie am 9. November verlesen wollen. „Wir haben eine Pflicht zur Erinnerung an die damalige Zeit“, sagt Schumann. Sich auf Biografien zu konzentrieren sei entschieden worden, da so die Schicksale für die Zuhörer eindringlicher seien. Sie wollen insbesondere die Lebenswege, Leistungen und die Verfolgung der Wissenschaftler hervorheben. „Insbesondere wegen der momentanen politischen Umstände ist es wichtig, dass wir die Menschen für das Thema sensibilisieren“, sagt Schumann.

Die zentrale Gedenkveranstaltung in Göttingen beginnt um 18 Uhr am Synagogen-Mahnmal, Platz der Synagoge. Während dieser wird auch Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) einige Worte sprechen. Die musikalische Begleitung übernehmen die Vokal-Art Chöre unter Leitung von Michael Krause.

Die Vorbereitung für den 9. November ist aber nur ein Teil des Gedenkens. Denn am Sonnabend, 18. November, soll am Aulagebäude am Wilhelmsplatz eine Gedenktafel für alle Göttinger Wissenschaftler, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, enthüllt werden. „Die rund 100 Namen werden nach Fakultäten geordnet auf der Tafel zu lesen sein“, berichtet Schumann.

21.06.2017: Verdienstmedaille für Göttinger Theologin Dr. Bettina Kratz-Ritter

22.06.17 07:30, Copyright © HNA

Auszeichnung: Stadträtin Petra Broistedt (rechts) überreichte Dr. Bettina Kratz-Ritter die Verdienstmedaille. Foto © HNA, Schlegel

Göttingen. Hohe Ehrung für Dr. Bettina Kratz-Ritter: Die evangelische Theologin ist nun Trägerin der Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Stadträtin Petra Broistedt überreichte der 59-Jährigen die hohe Auszeichnung am Mittwoch im Neuen Rathaus. Die Göttingerin erhielt die Ehrung für ihr Engagement für die Verständigung zwischen Chisten und Juden. Broistedt lobte die vielfältige Arbeit der Göttingerin, die seit 1996 in der Uni-Stadt lebt. Seit 2001 hat die Theologin ein eigenes Verlagsbüro in Göttingen.

„Das jüdische Leben fand in meiner Kindheit nicht statt“, sagte Kratz-Ritter. Von 1982 bis 1994 lebte sie in Zürich und kam dort mit der jüdischen Kultur in engen Kontakt.

Nach dem Umzug nach Göttingen wurde sie 1996 Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, an deren Spitze sie von 2000 bis 2008 stand.

Seit 2012 ist sie stellvertretende Vorsitzende der Gesellschaft und für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Schulprojekte verantwortlich. Außerdem gibt die Alexanderpreisträgerin, die auch die Gedenkstunden zur Pogromnacht organisiert, seit dem Jahr 2000 die Schriftenreihe der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit heraus. Weiterhin engagierte sie sich für den Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde und der Synagoge in Göttingen.

Stolpersteine
Ein großes Anliegen sind ihr zudem die Stolpersteine, die an das Schicksal von jüdischen Bürgern im Göttinger Straßenbild erinnern.

Seit 2016 engagiert sich Dr. Kratz-Ritter im Vorstand des deutschen Koordinierungsrates, dem bundesweiten Dachverband der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.

15.06.2017: Geistliche Musik und israelischer Bibel-Pop

Israelische Popmusik und Gesänge aus dem Gottesdienst, kraftvolle jiddische Lieder sowie jüdische Hochzeitsmusik aus der Türkei: Einen breiten Bogen spannten „Die Drei Kantoren“ aus Berlin während ihres mitreißenden Konzerts am Donnerstag in der reformierten Kirche in Göttingen.

Von Michael Caspar | 16.06.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt


Quelle: Bänsch

Göttingen. Wie in einer Sportarena erheben sich die Sitzreihen in Göttingens calvinistischem Gotteshaus an der Unteren Karspüle 11. 100 Bürger wollten die Musiker hören, die teils aus Israel stammen, teils dort studiert haben. 2013 fand sich die Gesangsformation zusammen, um beim Jahresempfang der israelischen Botschaft in Berlin für Unterhaltung zu sorgen. Die drei Gründungsmitglieder studierten damals an der Kantorenschule des Abraham-Geiger-Kollegs, das zur Universität Potsdam gehört.

„Kantoren spielen im jüdischen Gottesdienst eine wichtigere Rolle als der Rabbi“, führte Sänger Assaf Levitin (Bass) aus. „Das Amt hatte einst einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft, dass die Kantoren von den Steuer befreit waren“, ergänzte Jaqueline Jürgenliemk, die Vorsitzende der liberalen Jüdischen Gemeinde. Die Gemeinde richtete das Konzert gemeinsam mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit aus.

Schöne Äpfel im Garten

„Mit dem Arrangement von israelischen Pop-Songs haben wir 2013 begonnen“, erklärte Levitin. Die Stücke hätten fast alle einen religiösen Bezug. Liebeslieder israelischer Popmusiker griffen oft Bilder aus dem Hohelied der Bibel auf, in dem ein Mann seine Geliebte besingt. Vom Wind, der die schönen Äpfel in Garten streichelt, handelte eines dieser Stücke, das die drei Sänger mit ihren vollen, raumfüllenden Stimmen vortrugen.

Typisch für israelische Popmusiker, so Levitin, sei das Vertonen von Gedichten. „Das wäre so, als ob in Deutschland Rammstein Texte von Friedrich Schiller sänge“, erklärte Sänger Amnon Seelig (Bariton). Yehudit Ravitz komponierte etwa die Musik zu einem Gedicht von Leah Goldberg über einen, „der nicht glaubt“. Levitin: „Der Zweifel ist Teil der jüdischen Tradition.“ Zu den Popstücken zählte ferner eine Lobeshymne auf den Wassersprenger, der die Wüste zum Erblühen bringt. Dessen Geräusche ahmten die Kantoren zur Freude des Publikums lautmalerisch nach.

Ergreifend im Leichengewand

A cappella trugen die Sänger die Eröffnungssätze des Morgengebets vor. Sie priesen die „gesegnete Königin“, den Ruhetag Schabbat. In einem anderen Lied dankten sie den „Engeln des Friedens“, die sie am Schabbatabend auf dem Rückweg von der Synagoge beschützt hatten. Ergreifend waren die Lieder, die zu Jom Kippur, dem Fasten- und Bußtag, in der Synagoge erklingen. Gekleidet in ein Leichengewand bitten Juden Gott um Vergebung der Sünden. Vom Komponisten Maurice Ravel erklang dessen Kaddisch, das Totengebet.

Doch das Repertoire der Gruppe, zu der noch Tal Koch (Tenor) und Naama Wagner (Klavier) zählen, reichte weiter. Das Publikum hörte ein jüdisches Hochzeitslied zu einer traditionellen türkischen Melodie, dass die Sänger mit Schwung vortrugen. Sie interpretierten sephardische Musik, Stücke der Juden, die einst aus Spanien vertrieben worden waren. Orientalisch war ein Stück aus dem Jemen. Mit erhobenen Händen sangen die Kantoren ein mitreißendes Lied der Chassiden, der Ultraorthodoxen, die das Kommen des Messias noch in diesem Jahr herbeisehnen.

28.02.2017: Willen bleibt Vorsitzender

Während der Mitgliederversammlung ist der geschäftsführende Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen für vier Jahre im Amt bestätigt worden. Vorsitzender bleibt Heiner J. Willen, seine Stellvertreter sind Dr. Bettina Kratz-Ritter und Prof. Thilo Rudnig.

Von Jörn Barke | 28.02.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt

Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Thilo Rudnig, Bettina Kratz-Ritter und Heiner J. Willen (v. l.).
Quelle: R -- Foto © Susanne Rudnig-Zelt

Göttingen. Darüber hinaus wurden drei neue Beisitzer in den Vorstand gewählt: der Student Domenik Ackermann als neuer Schatzmeister, die Molekularbiologin Ruth Geiß-Friedlander, die auch im Vorstand der Jüdischen Gemeinde mitarbeitet, und Lehrer Sönke Jaek vom Otto-Hahn-Gymnasiums als Verbindungsmann zu den Schulen. In ihren Ämtern als Beisitzer wiedergewählt wurden Wilhelm Gerhardy, Hans R. Haase und Laura V. Schimmelpfennig.


Neue Beisitzer im Vorstand der GCJZ

© 2017 Katholisches Dekanat Göttingen

28.02.2017

Geschäftsführender Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Amt bestätigt.

Die Mitgliederversammlung 2017 der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) hat drei neue Beisitzer in den Vorstand gewählt: den Studenten Domenik Ackermann als neuen Schatzmeister, die Molekularbiologin Dr. Ruth Geiß-Friedlander aus Northeim, die auch im Vorstand der Göttinger Jüdischen Gemeinde mitarbeitet, und OStR Sönke Jaek vom Otto-Hahn-Gymnasium als Verbindungsmann zu den Schulen. In ihren Ämtern als Beisitzer wiedergewählt wurden Wilhelm Gerhardy, Hans R. Haase und Laura V. Schimmelpfennig.

Der geschäftsführende Vorstand wurde ohne Gegenstimme für vier Jahre bestätigt: Heiner J. Willen als Vorsitzender, sowie Dr. Bettina Kratz-Ritter und Prof. Dr. Thilo Rudnig als stellvertr. Vorsitzende

4.Februar 2017: Alexander-Stiftung verleiht vier Preise

Ausgezeichnete Geschichte

n.b: Dies ist eine gekürzte Fassung. Zum Original, hier klicken →

Einmal im Jahr wird der Alexanderpreis verliehen. Die Auszeichnung wird für journalistische Arbeiten vergeben, die sich mit der Geschichte der Stadt und der Region beschäftigen. Vier Preise hat der Vorsitzende der Alexander-Stiftung, Jens Wortmann, am Sonnabend im voll besetzten Keller des Deutschen Theaters überreicht.

Von Britta Bielefeld | 07.02.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt


Alexander-Preis: die Preisträger 2017. Quelle: Heller


Göttingen. Den ersten Platz teilen sich sechs Autoren, die gemeinsam den Beitrag "Verfolgt – Vergessen: Das Judenhaus Weender Landstraße 26 und seine BewohnerInnen“ erarbeitet haben: Eric Angermann, Eva Klay, Julia Kopp, Jan C. Oestreich, Jennifer Stümpel und Tobias Trutz haben dieses Broschüre für die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Göttingen erstellt. Laudator und Jury-Mitglied Wolfgang Just skizzierte kurz die in dem Beitrag aufgearbeitete Geschichte des Judenhauses, das 1968 abgerissen wurde. Seit dem vergangenen Jahr erinnert dort eine Stele mit den Namen der Bewohner an ihr Schicksal.
(Weitere Informationen hierzu im Heft 6 der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Göttingen →)

Der Preis geht zurück auf den Journalisten Wolfgang Alexander (1926-1988). Der Redakteur der Göttinger Monatsblätter verfügte, dass preiswürdige Texte „betont journalistisch sein, das heißt wahrheitsgetreu, aktuell, dadurch, dass fast vergessene und bisher übersehene Themen aufgegriffen werden.“ (Mehr Information zum Alexanderpreis hier →)

29.Januar.2017: Konzert zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Mit Elementen von Jazzmusik

Jüdische Synagogalmusik erklang am Sonntag in der vollbesetzten Johanniskirche. Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus sang ein Projektchor fünf Psalmvertonungen von Louis Lewandoski. Dazu gab es Musik von Mendelssohn, Weill, Sulzer und Ullmann.

Von Michael Schäfer | 02.02.2017 © 2017 Göttinger Tageblatt

Quelle: r

Göttingen. Organisiert hatte diesen „Projektchor Synagogalmusik“ die Göttinger Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Seit dem ersten Projekt dieser Art 2014 gab es immer mehr Zuspruch in der Öffentlichkeit. Neben den Kirchenbänke mussten zusätzliche Klappstühle aufgestellt werden, um den Besucheransturm zu bewältigen.

Die fünf Psalmvertonungen von Louis Lewandowski (1821-1894), dem Kantor der Neuen Synagoge in Berlin, bildeten den Schwerpunkt des Programms: schlichte, tief empfundene Chorsätze mit Orgelbegleitung. Eine Orgel wurde 1810 erstmals in Seesen in einer Synagoge benutzt, eine Reformidee, die allerdings nicht von orthodoxen, sondern nur von liberalen jüdischen Gemeinden gutgeheißen wurde.

Doch zeigte die Aufführung unter der spannungsreichen, dynamisch differenzierten Leitung von Antonius Adamske deutlich die hohen Qualitäten dieser Musik, die große Ähnlichkeiten mit Mendelssohns Kirchenmusik aufweist. Besonders bewegend geriet das auf Psalm 92 beruhende „Psalmlied für den Sabbat-Tag“ von Salomon Sulzer (1804-1894), der in Wien als jüdischer Kantor wirkte und in seiner Musik Schubert verpflichtet ist.

Ergänzt wurde das Programm durch zwei Werke des 20. Jahrhunderts. „Kiddush“ heißt ein Segensspruch, der jüdische Feiertage einleitet. Kurt Weills Vertonung lässt Elemente von Jazzharmonik durchscheinen, die gleichwohl nirgends den Ernst dieser Komposition einschränken. Vom 1944 in Auschwitz ermordeten Viktor Ullmann waren zwei hebräische Chöre zu hören, die gerade in ihrer Schlichtheit besonders eindringlich wirkten.

Der Chor hatte sich gründlich auf dieses Konzert vorbereitet, dem die Solistin Charlotte Diekmann mit ihrem unangestrengt locker fließenden Sopran Glanzlichter aufsetzte. Zuverlässiger Begleiter des Chores an der Orgel war Robin Hlinka. Er bereicherte das Programm mit der selbstbewusst gestalteten vierten Orgelsonate von Mendelssohn. Die Zuhörer klatschten ausgiebig.

2016

9. November 2016: Gedenken an die Opfer der Pogromnacht

Erinnerung an jüdische Mitschüler und Lehrer

Um an die Schändung der Göttinger Synagoge während der Reichspogromnacht 1938 zu erinnern, haben sich am Mittwochabend mehrere Hundert Menschen am Mahnmal versammelt. Schüler des Max-Planck-Gymnasiums gestalteten die Gedenkstunde.

Von Michael Caspar | 09.11.2016 © 2016 Göttinger Tageblatt

Quelle: CH

Mehrere Hundert Menschen versammelten sich am Mittwochabend am Göttinger Platz der Synagoge: Nazis zerstörten das Gebäude während der Pogromnacht.

Göttingen.Sie wurden ausgegrenzt, gedemütigt und erhielten Schulverbot: Am Beispiel von vier Schülern zeichneten die Jugendlichen, die am MPG Geschichtsleistungskurse besuchen, den Leidensweg jüdischer Altersgenossen im Dritten Reich nach. Was mag es für sie bedeutet haben, den Unterricht mit dem Hitlergruß zu beginnen? Wie konnten sie Aufsätze zu Themen wie „Der Jude in Volk und Staat“ schreiben?

Auch von zwei jüdischen Lehrern des ehemaligen Staatlichen Gymnasiums der Stadt berichteten die Schüler. Eduard Lisco war seit 1934 Schulleiter gewesen. Die Nazis degradierten ihn erst, dann „beurlaubten“ sie ihn. Heinz Junger verlor ebenfalls seine Stelle und verarmte. Von 1939 bis 1941 unterrichtete er zehn jüdische Kinder, die Schulverbot erhalten hatten. Am Ende wurde er mit den anderen Juden der Stadt nach Osteuropa deportiert. Er ist im Warschauer Ghetto verschollen, fanden die Schüler heraus. „Aus der Geschichte folgt Verantwortung“, wurde Johannes Rau zitiert. Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wollen die Schüler entgegentreten.

Dem schloss sich Heiner J. Willen von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an. Er forderte die Teilnehmer auf, gemeinsam rechten Gruppen wie dem „Freundeskreis“ entgegenzutreten, gegen dessen Kundgebungen in Göttingen zu demonstrieren. Die Gesellschaft richtete die Gedenkstunde gemeinsam mit der Stadt aus.

Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) konnte nicht rechtzeitig kommen. Sein Zug hatte Verspätung. Ein israelisches Volkslied und einen Psalm trug der MPG-Schulchor unter Leitung von Frauke Simon vor. Instrumentalmusik erklang.

Die Veranstaltung, die bei kaltem Regenwetter stattfand, endete mit dem jüdischen Totengebet, das Michael Shelliem und Jacqueline Jürgenliemk von der liberalen Jüdischen Gemeinde sangen. Namen von Orten, an denen die Nazis Juden ermordet hatten, wurden verlesen. Schweigend gingen die Teilnehmer danach auseinander.

06. November 2016: Enthüllung der neuen Gedenkstele an der ehem. Weender Landstr. 26

Neue Gedenkstele erinnert an das einstige "Judenhaus"

Rede der studentischen Initiatorengruppe

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank an Frau Präsidentin Beisiegel, Herrn Fürst vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und Herrn Oberbürgermeister Köhler. Zunächst möchten wir recht herzlich Frau Jürgenliemk von der Jüdischen Gemeinde Göttingen und Frau Tichauer Moritz von der Jüdischen Kultusgemeinde für Göttingen und Südniedersachsenwillkommen heißen. Vielen Dank für Ihre Beteiligung und Ihr Engagement!

Unser Dank gilt außerdem Herrn Dr. Böhme und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs sowie des Städtischen Museums Göttingen für ihre tatkräftige Unterstützung! Ein eben solcher Dank gilt den Mitarbeitern des Plesse-Archivs der Gemeinde Bovenden. Daneben danken wir auch Frau Schlappheit-Beck für die Unterstützung des Projekts auf kommunaler Ebene.

Unsere Anerkennung gilt der Firma Beneke, welche die Stele nach unseren Vorgaben gestaltet und hergestellt hat und Herrn Binder Lohrengel vom Gebäudemanagement der Universität Göttingen, der die Verantwortung für den Aufbau der Stele übernommen hat.

Frau Dr. Kratz-Ritter von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit möchten wir unseren ganz besonderen Dank aussprechen: Ohne Sie wäre das Projekt in erster Instanz nicht möglich gewesen. Danke, dass Sie uns außerdem die Möglichkeit gegeben haben, unseren Beitrag zur Gedenkveranstaltung vom 9. November vergangenen Jahres in der Schriftenreihe der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen zu veröffentlichen.

Vielen Dank an Frau Dr. Schäfer-Richter, die bereits vor fast 25 Jahren den ersten Anstoß zur Errichtung eines bleibenden Gedenkens gegeben hat ohne, dass es dafür Resonanz von Seiten der Stadt oder der Universität gegeben hat. Zum Schluss richtet sich unser persönlicher Dank an Herrn Prof. Dirk Schumann: Danke für die kollegiale Zusammenarbeit und die großartige Unterstützung aller Schritte unseres gemeinsamen Projekts.

In unserem Beitrag zur Gedenkveranstaltung am Platz der Synagoge haben wir im vergangenen Jahr an die Geschichte der sogenannten Judenhäuser in Göttingen erinnert. In diesen Häusern brachten die Gestapo und Göttinger Stadtverwaltung ab 1940 die als jüdisch definierten Menschen zwangsweise unter, nachdem diese aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben worden waren. Nichts erinnerte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges an die einstigen Bewohner und Bewohnerinnen dieser Einrichtungen. Das Haus an der Weender Landstraße wurde im Zuge von Baumaßnahmen der Universität abgerissen und vielen Menschen, mit denen wir gesprochen haben, war die Geschichte der sogenannten„Judenhäuser“ nicht bekannt. Dieser Zustand erforderte es aus unserer Perspektive, einen Ort des Gedenkens zu schaffen, der an die „Judenhäuser“ als Schauplätze der Vertreibung der jüdischen Mitbürgerinnenund Mitbürger und als Teil des Holocaust in Göttingen erinnert und aufklärt. Die Stele soll dabei vor allem ein bleibendes Erinnern an die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses ermöglichen. Wir hoffen, dass deren Namen und Schicksale nie in Vergessenheit geraten.

Das Haus, das an dieser Stelle stand,war das größte der Göttinger „Judenhäuser“. Auf der einen Seite ist es ein Symbol für die Verdrängung und Verfolgung der jüdischen Bürger Göttingens. Auf der anderen Seite war es aber auch ein Ort der Selbstbehauptung: In einer Zeit zunehmender Unterdrückung – 1934 – erwarb die jüdische Gemeinde das Gebäude an der Weender Landstraße von der Gauß-Weber-Loge zur Nutzung als Gemeindehaus. Trotz vieler Repressalien machte sie das Haus in der Folgezeit zu einem Zentrum sozialen und kulturellen Lebens und zu einem Schauplatz zahlreicher Feierlichkeiten. Diese boten den Angehörigen der jüdischen Gemeinde einen Ausgleich zum zunehmend schwerer gemachten Alltag in NS-Deutschland.

Doch das Judenhaus sollte nicht nur zum Zentrum jüdischen Gemeindelebens werden: Ab 1940 wurde es zum zwangsweisen Wohnort für 42 jüdische Bürger und Bürgerinnen, die dort unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten.

Das Leben in den „Judenhäusern“ war für die Betroffenen mit vielen Entbehrungen verbunden. Familien und Einzelpersonen waren genötigt, auf engstem Raum zusammenzuleben, Sanitäranlagen und die spärlichen Brennstoffvorräte zu teilen. Die Bewohner und Bewohnerinnen lebten mit der ständigen Angst vor Hausdurchsuchungen, der Gewalt der Gestapo, Verhaftung und Deportation.

Unter ihnen war beispielsweise die Familie des polnischen Altwarenhändlers Adolf Aaron Wagner, welche am 26. März 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert wurde. Die Familie gilt als unbekannt verschollen. Am selben Tag musste Max Meyer Meyerstein, Kaufmann aus Bremke im Landkreis Göttingen, mit seiner Frau das Judenhaus beziehen. Am 21. Juli 1942 folgte ihre Deportation nach Theresienstadt, wo Max Meyer Meyerstein am 26. Mai 1943 im Alter von 86 Jahren starb.

Bertha Müller hat die Torturen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik überlebt. Ab 1941 übernahm sie die Leitung des Judenhauses, in dem sie mit ihrem Mann, dem Kaufmann Selmar Müller, lebte. Auch sie wurde nach Theresienstadt verschleppt, überlebte die unmenschlichen Bedingungen und kehrte 1945 nach Göttingen zurück.

Zu den Überlebenden zählt auch der Schlachter Max Lilienthal. Er kam im Juli 1942 nach Theresienstadt, nachdem auch seine Schwester, sein Schwager und seine Nichte bereits deportiert worden waren. Sie gelten bis heute als verschollen. Nachdem Lilienthal 1945 nach Bovenden zurückkehren konnte, baute er sich mühsam eine neue Existenzgrundlage auf. Unter anderem engagierte er sich beim Wiederaufbau der jüdischen Gemeinde Göttingen-Bovenden.

Bereits kurz nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft gründete sich wieder eine jüdische Gemeinde in Göttingen. Sie bemühte sich, das ehemalige Gemeindehaus zurückzuerhalten, konnte jedoch den von der Stadt geforderten Kaufpreis nicht aufbringen. Nach einem langwierigen Gerichtsprozess erhielt die Gauss-Weber-Loge das Gebäude. Auch sie hatte Ansprüche auf ihr einstiges Eigentum erhoben und zahlte der jüdischen Gemeinde eine Ausgleichszahlung. 1968 wurde das Haus schließlich abgerissen. Fast 50 Jahre lang erinnerte nichts an den Ort und seine ehemaligen BewohnerInnen.

Dies zeigt, dass auch in der jungen Bundesrepublik eine aufrichtige Haltung gegen Antisemitismus und Rassismus und Hilfe für ihre Opfer nicht selbstverständlich war. Die Unterstützung der Stadt und der Universität für dieses Mahnmal ist ein wichtiger Schritt – darf aber nicht der letzte sein. Angesichts der aktuellen gesellschaftspolitischen Lage in Deutschland und in Europa ist eine kritische Forschung, ein konsequentes Einschreiten bezüglich menschenfeindlicher Einstellungen auch im Hier und Jetzt ein Muss. Dazu gehört auch, die Antisemitismus-Forschung an der Universität eher zu fördern als sie einzuschränken.

Wir sehen in dem Mahnmal einen Ort der Erinnerung – der Erinnerung an die Selbstbehauptung, Verfolgung und Vernichtung der Göttinger jüdischen Gemeinde in der Shoa. Und der Erinnerung daran, all jenes zu tun, dass dies nicht wieder geschehe.

Eric Angermann, Eva Klay, Julia Kopp, Jan C. Oestreich, Jennifer Stümpel, Tobias Trutz


"Hüte die Erinnerung"

Von Christoph Höland | 07.11.2016 © 2016 Göttinger Tageblatt

Quelle: CH

Verdrängt, verfolgt, vergessen: Kaum jemand weiß, dass der Parkplatz am Göttinger Zentralcampus einst Standort eines sogenannten Judenhauses war. Jetzt erinnert eine Gedenkstele an ein dunkles Kapitel der Göttinger Geschichte - dank einiger Studierender, die das Thema aufgearbeitet haben.

Göttingen. "Es war krass, so in die Geschichte einzutauchen", berichtet der Geschichtsstudent Eric Angermann bei der Enthüllung der Stele. Gemeinsam mit Kommilitonen hat er sich eingehend mit dem ehemaligen Gebäude an der Weender Landstraße 26 beschäftigt. Mithilfe von Materialien des Stadtarchivs, des städtischen Museums und des Bovender Plessearchivs beschreiben die Studierenden, wie das Haus vom Rückzugsort zur zwangsweisen Wohnstätte für Göttinger Juden wurde - bevor sie großteils in Konzentrationslager deportiert wurden.

Dabei war das Haus ursprünglich als Gemeindehaus gedacht: Die Gauss-Weber-Loge musste es 1934 auf Druck der Nationalsozialisten verkaufen, die Göttinger Juden brauchten dringend Räume - der Besuch öffentlicher Kulturveranstaltungen war ihnen verboten. Das "Judenhaus" blieb über Jahre ein Ort der Selbstbehauptung, an dem die Gemeinde sich -unter Aufsicht der Gestapo- ihr soziales und kulturelles Leben aufrecht erhalten konnte.

Ab 1939 verschärfte sich die Lage: Die NS-Gesetzgebung ermöglichte arischen Vermietern, Juden die Mietverträge zu kündigen. 42 Göttinger zogen deshalb an die Weender Landstraße. „Unbeschreiblich, Männer und Frauen, jung und alt, Verheiratete und Unverheiratete wurden in einem Raum oder Saal untergebracht. Jeder war gezwungen, sich in dem Raum an- und auszukleiden, zu waschen und zu kochen“, berichtete den Studierenden zufolge ein Zeitzeuge vom Leben dort. Noch belastender war für die Bewohner die ständige Angst vor der Deportation: "Werden sie heute kommen?", habe er sich schon beim Aufwachen gefragt, schildert der damalige Bewohner Viktor Klemper.

Die Angst, die die Bewohner ihm zufolge durch den Tag begleitete, war nicht unberechtigt: Ab 1942 brachten die Nationalsozialisten die Bewohner in unterschiedliche Konzentrationslager. Nur wenige überlebten.

Noch weniger kehrten nach Göttingen zurück. Ihr Gemeindehaus nutzten sie nicht wieder, ein Gericht urteilte, es gehöre der Gauss-Weber-Loge. Die verarmte Gemeinde wurde mit 8000 Mark entschädigt. Zwischen 1966 und 1968 wurde das Gebäude abgerissen um Raum für den Universitätsparkplatz zu schaffen. "Fast 50 Jahre lang hat nichts an die ehemaligen Bewohner erinnert", sagt Angermann. Jetzt gemahnt an der Weender Landstraße 26 eine Gedenkstele.

Aufarbeitung nicht beendet

"Hüte die Erinnerung, vergiss nie das Schicksal dieser Menschen" - es waren eindringliche Worte, mit denen sich Eva Tichauer Moritz als Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde bei der Stelen-Enthüllung an die Gäste wandte. Sie und ihre Kollegin Jaqueline Jürgenliemk von der Jüdischen Gemeinde sprachen sich für eine starke Erinnungskultur aus - schließlich habe nach dem zweiten Weltkrieg "nichts in Göttingen an die Geschichte der Göttinger Juden erinnert", wie Jürgenliemk es formulierte.

Tatsächlich gestand Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) ein, dass die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Göttingen lange gebraucht habe.

Ähnliches gelte auch für die Universität, sagte Universitätspräsidentin Prof. Ulrike Beisiegel. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit der Uni wurde ihr zufolge "zu spät begonnen und ist noch lange nicht fertig".


Gedenkstele erinnert an „Judenhaus“

Geschichtsstudierende arbeiten mit viel Akribie Göttinger Vergangenheit auf
© Januar 2017 uni|inform
Enthüllung der Gedenkstele im Beisein von Universitätspräsidentin Ulrike Beisiegel, Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler und Jacqueline Jürgenliemk, 1. Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Göttinge

(gb) „Bewahre und Erinnere“ steht auf der Gedenkstele an der Weender Landstraße 26. Auf dem heutgen Parkplatz am Zentralcampus stand während des Nationalsozialismus das jüdische Gemeindezentrum und spätere „Judenhaus“. Die Göttinger Geschichtsstudierenden Eva Klay, Eric Angermann, Jennifer Stümpel, Jan Oestreich, Julia Kopp und Tobias Trutz haben die Geschichte des Gebäudes aufgearbeitet. Auf ihre Initiative ließen die Universität und die Stadt Göttingen ein Denkmal zur Erinnerung an den bisher kaum bekannten Ort jüdischen Lebens in bedrängter Zeit errichten.

1934 kaufte die Jüdische Gemeinde die Immobilie an der Weender Landstraße, um dort Kultur­abende, Konzerte und Vorträge zu veranstalten – der Zutritt zum städtischen Konzert- und Theaterbetrieb war verboten. Außerdem weigerten sich Göttinger Gaststätten zunehmend, jüdische Veranstaltungen zu beherbergen. Ab 1940 wiesen Gestapo und Göttinger Stadtverwaltung Göttinger Juden zwangsweise in das „Judenhaus“ ein, nachdem diese aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben worden waren. Zeitweise wohn- ten hier über 40 Menschen unter zum Teil erbarmungswürdigen Zuständen. Die meisten wurden im Anschluss deportiert und ermordet.

„Mit ihrer Arbeit hat die Gruppe ein Stück in Vergessenheit geratene Geschichte wieder ans Licht geholt“, sagt Prof. Dr. Dirk Schumann vom Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, der das Projekt begleitet hat. Die Studierenden begaben sich auf Spurensuche in die örtlichen Archive, werteten zeitgenössische Quellen aus und zeichneten einzelne Schicksale nach. Mit viel Akribie schildern sie den vergeblichen Kampf um Rückerstattung des Hauses von der Stadt nach 1945. Ende der 1960er-Jahre wurde das Gebäude für den neuen Parkplatz am Zentralcampus abgerissen.

„Wir wollten einen Ort des Gedenkens schaffen, der an die ,Juden- häuser‘ als Schauplätze der Vertreibung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Göttingen erinnert und aufklärt“, sagte Jan Oes­ treich anlässlich der Enthüllung der Stele. „Wir hoffen, dass die Namen und Schicksale der Bewohnerinnen und Bewohner nie in Vergessenheit geraten.“

s.auch Gedenkstele für das Judenhaus in der Weender Landstraße 26



11. September 2016: Exkursion zur Gedenkstätte Ahlem und der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover

Die Gedenkstätte Ahlem ist der Ort der israelitischen Gartenbauschule Ahlem, eines „Judenhauses“ für die ghettoisierten jüdischen Familien ab 1941, der Sammelstelle für den Transport in die östlichen Konzentrations- und Vernichtungslager, eines Gestapo-Gefängnisses für Zwangsarbeiter und einer Hinrichtungsstätte.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Tausende verarmter Juden aus Osteuropa in Deutschland einwanderten, engagierte sich der jüdische Bankier Alexander Moritz Simon für seine Glaubensgenossen. Seine Bemühungen, insbesondere für die Jugendlichen, mündeten in den Aufbau einer Gartenbauschule, die 1893 eröffnet wurde und in der sie praktisch-gewerbliche Berufe erlernen konnten. Sie wurde 1919 in „Israelitische Gartenbauschule Ahlem“ umbenannt und gewann große Ausstrahlungskraft. Ab 1933 war die Ausbildung dann hauptsächlich auf die Auswanderung nach Palästina ausgerichtet. In dieser Schule wurde eines der 15 Judenhäuser Hannovers eingerichtet, auf ihrem Gelände befand sich die zentrale Sammelstelle für die Deportation der Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim. Ab 1943 wurden ausländische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene wegen Verfehlungen in ein hier entstandenes Gestapo-Gefängnis eingeliefert. Gegen Ende des Krieges diente die ehemalige „Laubhütte“ als Hinrichtungsstätte für mindestens 59 Häftlinge.

Die Liberale Jüdische Gemeinde Hannover ist die größte progressive jüdische Gemeinde Deutschlands. Sie besteht seit 1995 und hat ihr Gemeindezentrum (u.a. mit Bibliothek, Kita und Jugendzentrum) in der 2009 eingeweihten Synagoge in Leinhausen. Bei diesem Gebäude handelt es sich um die ehemalige evangelisch-lutherische Gustav-Adolf-Kirche, die für die Jüdische Gemeinde umgebaut wurde. Für Synagoge und Gemeindezentrum wurde der Gemeinde und den Architekten Roger Ahrens und Gesche Grabenhorst der Niedersächsische Staatspreis für Architektur 2010 verliehen.



12. Februar 2016: 11 Weitere Stolpersteinverlegungen in Göttingen

Für Freitag, den 12. Februar 2016 ab 14 Uhr, ist die Verlegung von elf weiteren Stolpersteinen in Göttingen geplant.

Die drei Verlegestellen befinden sich in der Innenstadt und am Weender Tor: Rote Str. 16, Obere-Masch-Str. 10, Weender Landstr. 5b.

Es sind sowohl neue Namen als andere Familienmitglieder von Personen, derer mit den im letzten Jahr verlegten Stolpersteinen gedacht wurde: So handelt es sich bei Fanny und Cäsar Asser (Obere Masch 10) um die Großeltern der damaligen Schulkinder Lissy und Kurt Asser (Papendiek 26). Der an der Weender Landstraße vorgesehene Stolperstein für Else Kaufmann ergänzt den im letzten Jahr auf der gegenüberliegenden Straßenseite verlegten Stein ihres Verwandten, des Malers Hermann Hirsch (Weender Landstr. 12).

Bei zwei Adressen schließlich geht es um zwei Brüder Meyerstein und ihre Familien: In der Roten Straße 16 um Familie Siegfried Meyerstein, in der Oberen Masch 10 um Familie Hugo Meyerstein.

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen e.V. arbeitet bei der Stolpersteinverlegung eng mit der Stadt Göttingen und dem Geschichtsverein für Göttingen und Umgebung e.V. zusammen.

Mit seinem Stolperstein-Projekt erinnert der Kölner Künstler Gunter Demnig an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Boden einlässt.

Kontakt: Heiner J. Willen
Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Tel. 0551/24474

2015

9. November 2015: "Verdrängt, verfolgt, vergessen" — Erinnerung an den 9. November 1938

Göttingen gedenkt der Pogromnacht 1938

Studierende der Universität erinnerten an das so genannte Judenhaus an der Weender Landstraße 26.

Von Michael Brakemeier | 09.11.2015 © 2015 Göttinger Tageblatt

Foto © Hinzmann Mehrere Hundert Menschen haben am Montagabend bei einer Gedenkstunde am Göttinger Synagogenmahnmal der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

9.11. Göttingen. Unter dem Titel "Verdrängt, verfolgt, vergessen" stand die Erinnerung an die Pogromnacht am 9. November 1938, in der auch in Göttingen die Synagoge brannte. Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) sprach in seiner Rede von einem "Schanddatum", das sich nicht wiederholen dürfe. Ein Schlussstrich für die Erinnerung daran dürfe nicht gezogen werden. Besonders heute gelte es wieder, wachsam zu sein. Anzeichen für Rassismus und Faschismus müssten ernst genommen werden, mahnte Köhler. "In Göttingen gibt es keinen Platz für Rassisten", sagte er und erinnerte daran, dass heute Hunderttausende auf der Flucht seien.

Die Geschichte des inzwischen abgerissenen, so genannten Judenhauses und dessen Bewohner zeichneten Studierende der Universität nach, die sich unter Leitung von Historiker Prof. Dirk Schumann mit dem Thema beschäftigt hatten. Ab 1934 war das Haus ein Zentrum des kulturellen und sozialen Lebens der Jüdischen Gemeinde, während des Nationalsozialismus eine Zwangswohnstätte für ältere Göttinger Juden, von denen die meisten deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden. Einige sind verschollen. Nur wenige kehrten nach 1945 zurück nach Göttingen. Heute befindet sich an der Stelle des Hauses ein Parkplatz der Universität. Die Studierenden forderten, dort künftig an das Haus und seine Bewohner zu erinnern.

Das Klezmerprojekt Klezpo unter Leitung von Wieland Ulrichs spielte jüdische Musik. Michael Shelliem und Jacqueline Jürgenliemk sprachen das Totengebet zum Abschluss der Gedenkstunde.

Solidarität kam von den Besetzern des ehemaligen DGB-Hauses. "In Gedenken an die Opfer der Shoa" stand auf einem Transparent. An der Gedenkstunde nahmen in diesem Jahr deutlich mehr Menschen teil als in den Vorjahren.


Audioaufnahme der Gedenkstunde (mp3-Datei, 37 Minuten, 38 Sekunden)


Sendung: Aufgeweckt - Mehr am Morgen

Stadtradio Göttingen Sendung vom 10.11.2015
Autor: Tina Fibiger
Dauer: 4 Minuten, 8 Sekunden

Mit einer Gedenkstunde wurde gestern Abend in Göttingen am Mahnmal der Synagoge an die Reichspogromnacht erinnert. In diesem Jahr stand der 9. November unter dem Motto „Verdrängt – Verfolgt – Vergessen“, um ein weiteres Kapitel der mörderischen NS-Diktatur in Göttingen zu dokumentieren. Studierende vom Seminar für mittlere und neuere Geschichte berichteten über das so genannte „Judenhaus“ in der Weender Landstraße 26. Tina Fibiger über die Gedenkstunde zum 9. November 1938, als in Göttingen auch die jüdische Synagoge in Brand gesteckt wurde.

Manuskript
Text
Auf die Pogromnacht vom 9. November 1938 folgten weitere Schikanen gegen die jüdische Bevölkerung Göttingens bis zu ihrer Deportation. Nicht nur ihre Geschäfte wurden boykottiert und zerstört. Von einer Welle fristloser Kündigungen berichten Studierende des Seminars für mittlere und neuere Geschichte anlässlich der Gedenkstunde am Mahnmal der Synagoge. Den arischen Nachbarn sollte nicht länger zugemutet werden, mit Juden unter einem Dach zu wohnen, wie es das Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden aus dem Jahr 1939 vorsah.

 

O-Ton 1, Einspieler Gedenkstunde, 19 Sekunden
„Die Weender Landstraße 26 sollte nicht das Zentrum jüdischen Gemeindelebens bleiben. Im Zuge der sich verschärfenden Verfolgung wurde es zum zwangsweisen Wohnort vieler jüdischer Menschen. Insgesamt 42 Menschen waren ab 1940 gezwungen, das so genannte Judenhaus in der Weender Landstraße 26 zu beziehen.“

 

Text
Die Studierenden hatten ihre Spurensuche zur Geschichte des so genannten Judenhauses in der Weender Landstraße in drei Kapitel gegliedert. Das Gebäude diente zunächst als kultureller und sozialer Treffpunkt und für Familienfeiern. Dann wurde es, wie auch die anderen Judenhäuser in der Oberen Masch, in der Weender Straße und in Bovenden am Feldtorweg, für viele Menschen ein Notquartier, bis sie 1942 in die NS- Vernichtungsmaschinerie im Warschauer Ghetto und in Theresienstadt gerieten. Umso beklemmender muten dann die Schilderungen aus der Nachkriegszeit an. Der Versuch der wenigen Überlebenden der jüdischen Gemeinde, in Göttingen wieder Fuß zu fassen. 

 

O-Ton 2, Einspieler Gedenkstunde, 20 Sekunden
„Die Stadtverwaltung Göttingens zeigte erhebliche Widerstände als es darum ging, ein jüdisches Gemeindeleben wieder aufleben zu lassen. Allein beim Versuch, Besitzansprüche auf das Haus in der Weender Landstraße 26 geltend zu machen, begegnete man erheblichen Schwierigkeiten. Sie war 1949 nur zu einem Verkauf des Hauses bereit.“

 

Text
Die geforderten 17.000 DM konnte die verarmte jüdische Gemeinde nicht aufbringen. Die Gauss-Weber Loge machte als Vorbesitzer ältere Rechte geltend und einigte sich mit der jüdischen Gemeinde auf eine Zahlung von 8.000 DM. Sie übernahm das Gebäude, das in den Nachkriegsjahren zunächst eine Polizeistation beherbergt hatte. Mit dem Neubau des Zentralcampus erfolgte 1968 der Abriss des früheren Judenhauses. Für die Studierenden geriet damit ein Symbol jüdischen Lebens in Göttingen in Vergessenheit, für das sie anlässlich der Gedenkstunde am Mahnmal der Synagoge ebenfalls ein angemessenes Gedenken fordern.

 

O-Ton 3, Einspieler Gedenkstunde, 27 Sekunden
„Damit wollen wir an das jüdische Gemeindeleben unter nationalsozialistischer Verfolgung erinnern. Die Geschichte der Judenhäuser als Teil der Shoa wach halten und wir wollen auf das Versagen der Stadt Göttingen hinweisen, die jüdische Gemeinde nach Ende der NS- Herrschaft in angemessener Weise zu unterstützen. Wir freuen uns, dass das Präsidium der Universität seine Bereitschaft signalisiert hat, unser Vorhaben in die Tat umzusetzen.“

 

Text
Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler verwies am Mahnmal der Synagoge auf die Verpflichtung der Stadt, in Erinnerung an die Shoa und die Vertreibung und Vernichtung jüdischer Mitbürger, jedes Signal von Neofaschismus, Rassismus und gewaltbereitem Extremismus ernst zu nehmen. Und das besonders mit Blick auf tausende von Flüchtlingen aus den Kriegs- und Bürgerkriegsregionen in Afrika und Asien

 

O-Ton 4, Rolf-Georg Köhler, 24 Sekunden
„Wir verurteilen und bekämpfen gleichzeitig, wie gefährliche Neofaschisten, wie unbelehrbare Rassisten und gewissenlose selbsternannte Patrioten das Elend dieser Flüchtlinge nicht nur politisch instrumentalisieren sondern die Flüchtlinge terrorisieren, bedrohen und angreifen. Dem sehen wir nicht tatenlos zu, wenn wir nichts verdrängen wollen, wenn wir nicht vergessen wollen, wenn wir nichts aus unserer Geschichte entfernen wollen.“

Zur Verfügung gestellt vom StadtRadio Göttingen → Link zum Original

20. Januar 2015: Nachrichten aus dem Dekanat Göttingen — Spenden für Flüchtlinge

Juden und Christen spenden für Flüchtlinge. Copyright © 2015 Bistum Hildesheim

Caritas Friedland erhielt 400 Euro für Frauenzentrum.

Überreichung der Spende
Thomas Heek (l.), Leiter der Caritasstelle Friedland, nimmt aus den Händen von Jacqueline Jürgenliemk, Jüdische Gemeinde und Heiner J. Willen, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Spende an. Thomas Heek (l.), Leiter der Caritasstelle Friedland, nimmt aus den Händen von Jacqueline Jürgenliemk, Jüdische Gemeinde und Heiner J. Willen, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Spende an. © GCJZ Bild vergrößern

Eine 400-Euro-Spende konnte der Leiter der Caritasstelle Friedland, Thomas Heek, entgegennehmen. Das Geld überbrachten ihm Jacqueline Jürgenliemk, Vorsitzende der Göttinger Jüdischen Gemeinde, und Heiner J. Willen, Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

„Hier wird eine ganz wichtige Arbeit für Migrantinnen getan“, betonte Jürgenliemk bei der Übergabe. „Im geschützten Raum können die Frauen Deutsch lernen und erste Schritte in die deutsche Gesellschaft machen. Gespräche beim gemeinsamen Kochen, Nähen oder einfach nur Kaffeetrinken dienen dazu, sich über persönliche Perspektiven in Deutschland klarer zu werden.“ Heiner J. Willen gefällt, dass „ganz praktisch und oft nebenbei geholfen“ werde. „Caritas und Innere Mission haben mit dem Frauenzentrum in Friedland die Begegnung von Frauen aus dem Irak, aus Syrien und Afghanistan untereinander und mit deutschen Frauen möglich gemacht“, sagte Willen.

Teenachmittag mit Dreidel-Spiel

Zusammengekommen ist das Geld beim traditionellen Teenachmittag im Dezember. Wie in jedem Jahr feierten Juden und Christen gemeinsam Chanukka und Advent in der Jüdischen Gemeinde. Nachdem „Gedichte und Geschichten zu Advent und Chanukka“ von Jacqueline Jürgenliemk und Hans R. Haase vorgelesen waren, wurde erstmals an allen Tischen nicht nur Tee getrunken und Gebäck geknabbert: Mit dem traditionellen Dreidel entwickelte sich die Jüdische Gemeinde zur „Spielhölle“. Neben viel Spaß hatte das einen ordentlichen Erlös zur Folge. Jüdische Gemeinde und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit stockten die Summe auf 400 Euro auf.

Das Geld kommt nun Flüchtlingen in Friedland zugute. „Wir freuen uns, mit unserer Spende ein klein wenig helfen zu können, dass das Frauenzentrum auch in Zukunft ein Ort sein kann, an dem sich Frauen nach ihrer Flucht nach Deutschland geborgen fühlen können“, erklärten Jürgenliemk und Willen gemeinsam bei ihrem Besuch in Friedland.

Homepage der Jüdischen Gemeinde
www.juedische-gemeinde-goettingen.de
Homepage der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
www.gcjz-goettingen.de

2014

14. Dezember 2014: Fans ehren jüdischen Göttinger Fußballer Katz

Stand: 14.12.2014 11:36 Uhr - Lesezeit: ca.2 Min. © 2014 NDR
Eine Tafel mit einem Porträt eines Mannes und der Aufschrift Ludolf Katz,
	 	geboren Mai 1903 und gestorben 14. August 1994.

Ludolf Katz wird mit dieser Gedenktafel 20 Jahre nach seinem Tod geehrt.

Der jüdische Fußballer Ludolf Katz aus Göttingen wird 20 Jahre nach seinem Tod geehrt. Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Göttingen und Fans des 1. SC Göttingen 05 haben gemeinsam eine Gedenktafel für das ehemalige Vereinsmitglied enthüllt. Katz war 1934 wie alle anderen jüdischen Mitglieder vom Verein ausgeschlossen worden. Sein Schicksal stehe exemplarisch für vier weitere ehemalige Sportler des Clubs, wie die "Supporters Crew 05" am Sonnabend mitteilte. Der Fanclub hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des Vereins in der Nazizeit aufzuarbeiten.

Schicksale teils nur schwer zu rekonstruieren

Im Mai vergangenen Jahres hat der Fanclub Räume am Platz der Synagoge bezogen. "Bei diesem Standort war uns gleich klar, dass wir auch die jüdische Geschichte des Vereins aufarbeiten wollen", sagte Dirk Mederer, Mitglied der "Supporters Crew 05", NDR.de. So haben die Fußballfans auch die Gedenkstunde in Göttingen zur Reichspogromnacht am 9. November inhaltlich ausgerichtet. Die Schicksale der Fußballer seien teils nur sehr schwer zu rekonstruieren. Lebende Nachkommen wüssten häufig nicht, dass die Männer in Göttingen Fußball gespielt hätten, so die Mitglieder des Fanclubs.

Ludolf Katz war von 1918 bis 1934 Mitglied bei Göttingen 05. Seine Eltern wurden später ins Konzentrationslager deportiert. Katz selbst floh mit seiner Frau vor den Nazis in die USA, wo er im August 1994 im Alter von 91 Jahren starb.

12. Dezember 2014: Späte Ehrung für jüdischen Fußballer Ludolf Katz

12.12.2014 - 11:32 © 2014 HNA
Gedenktafel für Ludolf Katz: Dirk Mederer (links) und Heiner
			Willen enthüllten sie. Ganz links Bürgermeister Ulrich Holefleisch,
			rechts Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck. Foto: Brüßler

Gedenktafel für Ludolf Katz: Dirk Mederer (links) und Heiner Willen enthüllten sie. Ganz links Bürgermeister Ulrich Holefleisch, rechts Kulturdezernentin Dagmar Schlapeit-Beck. Foto: Brüßler

Göttingen. Seit die Fans des 1. SC Göttingen an eine geschichtsträchtige Stelle Göttingens gezogen sind, arbeiten sie die Geschichte verfolgter jüdischer Fußballspieler auf.

Tosender Applaus brandet auf, als Dirk Mederer von der Supporters Crew 05 und Heiner Willen von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit eine Gedenktafel für den jüdischen Fußballer Ludolf Katz enthüllten. Viele Fans des 1.SC Göttingen 05 waren zum FanRaum in der Oberen Masch gekommen, um an der Stelle, an der einst die Synagoge stand, einen dunklen Teil der Vereinsgeschichte aufzuarbeiten.

Von 1905 bis 1934 war Ludolf Katz, dessen Eltern ein Manufaktur- und Konfektionsgeschäft in der Groner Straße hatten, Mitglied von Göttingen 05. 1934 wurde er auf Anordnung der NSDAP ebenso wie allen anderen jüdischen Mitglieder aus dem Verein geworfen. Bereits ein Jahr vorher war er bei einem Boykottmarsch der Nazi-Schlägertruppe SA zusammengeschlagen worden. Später konnte er in die USA auswandern.

Seit dem Umzug des Vereins an die geschichtsträchtige Stelle im Mai 2013 sind dort auch jüdische Fußballspieler ein Thema. Mederer: „Die Vereinsgeschichte gab wenig Aufschluss über jüdische Mitglieder. Ludolf Katz ist für uns der Anstoß, die vier weiteren ausfindig zu machen.“

Auf der Außenseite des Fanraums, gegenüber vom Synagogen-Mahnmal, wird nun stellvertretend durch Ludolf Katz aller jüdischen Sportler gedacht, die in Göttingen gewirkt und gelitten haben, betonte die Kultur- und Sozialdezernentin der Stadt, Dagmar Schlapeit-Beck: „Ich danke allen dafür, dass jetzt, 80 Jahre nach den Geschehnissen, noch Aufarbeitung in der Stadt stattfindet, Ereignisse und Biographien hervortreten, an die man so lange nicht erinnert hat – das ist eigentlich der zweite Skandal.“

Dietrich Schulze-Marmeling, einer der renommiertesten Fußball-Autoren Deutschlands, sprach über die Zerschlagung der einst liberalen Fußballkultur in Deutschlands in der NS-Zeit. Jüdische Sportler und Mäzene spielten eine wesentliche Rolle, waren an vielen Vereinsgründungen beteiligt, Förderer machten ihn erst zur Massensportart. Am Beispiel von Kurt Landauer, dem ehemaligen jüdischen Präsident des FC Bayern, verdeutlichte er, wie dieses Engagement ein 1933 ein abruptes Ende nahm und wie die Nazi-Zeit im Deutschen Fußball verschwiegen wurde.

Für Dirk Mederer und alle anderen bleibt noch viel Arbeit. Neben Ludolf Katz sind noch vier weitere Vereinsmitglieder namentlich bekannt, die aber noch schwieriger zu recherchieren sind: „Die Familien wussten selbst oft gar nicht, dass die Männer Vereinsmitglieder waren, weil nicht über diese Zeit geredet wurde, sie quasi aus dem kollektiven Gedächtnis der Familie gelöscht wurden.“

Am 17. März werden in der Groner Straße vier Stolpersteine zu Ehren der Familie Katz verlegt.

Von Lisa Brüßler


9. November 2014: Fans des SC Göttingen erinnern an Reichspogromnacht

Enthüllung einer Gedenktafel für Ludolf Katz: Fans des SC Göttingen


09.11.2014 © 2014 Deutscher Fußball-Bund

Mit einer Gedenkfeier am Synagogen-Mahnmal in Göttingen erinnerten die Fans des 1. SC Göttingen 05 am vergangenen Sonntag an die Reichspogromnacht 1938 und das Schicksal ihrer jüdischen Vereinsmitglieder. Die Veranstaltung wurde von der Supporters Crew 05 in Zusammenarbeit m it der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) initiiert und stand in diesem Jahr unter dem Motto "Ludolf Katz – ein Jude in Schwarz und Gelb".

Exakt an der Stelle, an der in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge brannte, gedachten 76 Jahre später mehrere hundert Menschen der fünf bekannten jüdischen Vereinsmitglieder des SC Göttingen – allen vorweg dem Kaufmann Ludolf Katz. Dessen Geschichte wurde den Besuchern im Anschluss an die Gedenkstunde mit dem Film "Und plötzlich waren wir Feinde" näher gebracht, der das Schicksal der Juden in Göttingen, unter anderem das der Kaufmannsfamilie Katz, während der NS-Zeit dokumentiert.

1918, mit 15 Jahren, trat Ludolf Katz dem SC Göttingen bei. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Katz aus dem Verein ausgeschlossen und flüchtete kurz vor der Reichspogromnacht 1938 in die USA. Seine Eltern wurden 1942 deportiert. Katz starb am 14. August 1994 in Sarasota, Florida.

Die Veranstaltungsreihe endet am 10. Dezember um 19.05 Uhr mit einer Lesung des Autors Diedrich Schulze-Marmeling aus seinem Buch "Davidstern und Lederball" und der anschließenden Enthüllung einer Gedenktafel für Ludolf Katz.

[sk]


Gefeiert, ausgestoßen, verhöhnt

Gedenkfeier zum 9. November am Synagogenmahnmal in Göttingen erinnert an jüdischen Fußballer Ludolf Katz

von Britta Einchner-Ramm | 09.11.2014 © 2014 Göttinger Tageblatt


Foto © Hinzmann Mehrere Hundert Menschen nehmen am Mahnmal der Synagoge in Göttingen an der Gedenkfeier zum 9. November teil.

Göttingen. Zur Erinnerung an die Pogromnacht des Jahres 1938 haben die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und die Stadt Göttingen am Mahnmal am Platz der Synagoge am Abend des 9. Novembers eine Gedenkstunde veranstaltet. Das Besondere in diesem Jahr: Mitglieder des Fandachvereins Supporters Crew 05 stellten das Schicksal von Ludolf Katz, einem Juden in Schwarz-Gelb, vor. Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) nannte zuvor die Reichspogromnacht „eine Schande für unsere Stadt“.

Ein Jahr lang ergründete die Supporters Crew 05 die Geschichte der jüdischen Vereinsmitglieder im Fußballverein 1. SC Göttingen 05. Die fünf Fußballer, zu denen Katz gehörte, haben bis 1933 mit dem Verein sportliche Erfolge gefeiert und sich mit ihm identifiziert. Dennoch wurde ihnen bis heute jegliche Ehre verwehrt.

„Und plötzlich waren wir Feinde“

Am Sonntagabend wurde an die Juden im deutschen Fußball, darunter zum Beispiel Kurt Landauer, Mitbegründer des 1. FC Bayern München, gedacht. Im Mittelpunkt stand das jüdische 05-Vereinsmitglied Ludolf Katz. Erst wurden die sportlichen Erfolge der jüdischen Fußballer gefeiert, dann verstieß man sie aus den Vereinen, und am Ende wurden sie schikaniert und verhöhnt. Auch Ludolf Katz. Er verließ 1938 Göttingen und Deutschland mit dem Schiff nach Amerika. Das Schicksal seiner Eltern, die im Frühjahr 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert wurden, blieb ihm erspart. Im Anschluss an die Gedenkfeier wurde der Dokumentarfilm über die Göttinger Familie Katz, „Und plötzlich waren wir Feinde“, gezeigt.

28. Oktober 2014: In schöne Melodien gekleidet — der "Projektchor Synagogalmusik"

"Projektchor Synagogalmusik" singt Vertonungen liturgischer Psalmen

28.10.2014 © 2014 Göttinger Tageblatt

25. Oktober 2014: Ein Jude in Schwarz und Gelb

"Supporters-Crew 05" gestaltet Gedenkstunde am Synagogen-Mahnmal

25.10.2014 © 2014 Göttinger Tageblatt

26. Juli 2014: Aufruf gegen antijüdische Hetze

Solidarität mit jüdischen Gemeinden gefordert

bar | 26.07.2014 © 2014 Göttinger Tageblatt

Göttingen. Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen hat in einer Mitteilung „die antisemitischen Ausfälle der letzten Tage in Göttingen“ verurteilt. Die Gesellschaft stehe an der Seite der jüdischen Mitbürger „in unserer Stadt, in der Region und im ganzen Land“, heißt es weiter: „Wir rufen unsere Mitglieder auf, deutlich gegen antisemitische Hetze Stellung zu nehmen. Parolen in der Göttinger Innenstadt wie ‚Du verdammtes Judenschwein‘ verletzen nicht nur unsere jüdischen Freundinnen und Freunde, sondern auch uns zutiefst.“

Jenseits der Tatsache, dass man unterschiedlicher Meinung zur Politik der derzeitigen israelischen Regierung sein könne, sei Gewalt gegen Demonstranten mit Israelfahnen nicht tolerierbar: „Wir erwarten von der Politik, dass sie Maßnahmen ergreift, solche Taten künftig zu verhindern.“

Die Mitglieder der Gesellschaft werden in dem Schreiben gebeten, Solidarität zu zeigen, indem sie in nächster Zeit verstärkt an Veranstaltungen der Jüdischen Gemeinden und der Jüdischen Kultusgemeinde teilnehmen. Besuche in den Gottesdiensten der Gemeinden oder im von der Kultusgemeinde betriebenen Bistro Löwenstein sollten den jüdischen Freunden zeigen, „dass wir sie in diesen schweren Tagen nicht allein lassen“.

16. Juli 2014: Platz der Synagoge — 05-Anhänger reinigen Mahnmal in Götingen

Von Jörn Barke | 16.07.2014 22:47 Uhr © 2014 Göttinger Tageblatt →

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Göttingen hat sich erfreut über das Engagement von Anhängern des Fußballclubs Göttingen 05 gezeigt. Diese reinigten seit einigen Monaten regelmäßig das Mahnmal am Platz der Synagoge, heißt es in einer Mitteilung

Reinigung des Mahnmals: Mitglieder der 05-Supporters-Crew. Bild © Pförtner

Göttingen. Das Mahnmal steht an der Stelle, an der während der Nazi-Diktatur in der Reichspogromnacht 1938 die Göttinger Synagoge niedergebrannt wurde.

In der Vergangenheit hatte es wiederholt Unmut über Müll an dem Mahnmal gegeben.

Die Supporters-Crew von Göttingen 05, die ihren Fanraum neben dem Mahnmal hat, entferne Unrat und halte den Boden sauber, heißt es in der Mitteilung weiter. Die Fans griffen auch ein, wenn sich Menschen zum Feiern unter den Gedenktafeln der von den Nazis verschleppten und getöteten Göttinger Juden versammelten – oder diese Stelle als Toilette missbrauchten.

Die Fans zeigten mit ihrem Engagement, dass in Göttingen die Menschen nicht vergessen würden, die von den deutschen Faschisten – nur, weil sie Juden waren – ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden. Die Fans hätten zugesagt, auch in Zukunft dafür zu sorgen, dass das Mahnmal ein würdiger Ort des Gedenkens bleibt.

02. Juli 2014: Die Stellung der Hannoverschen Landeskirche zum Judentum

Perspektiven aus jüdischer und christlicher Sicht nach der Änderung der Kirchenverfassung

Florian Wilk (l) und Jonah Sievers (r)
© H. Willen 2014

Rabbiner Jonah Sievers (Braunschweig) und Professor Florian Wilk (Göttingen) referierten am 2. Juli 2014 über die Ergänzung der Verfassung der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers. Im November 2013 hatte die Landessynode einstimmig beschlossen, die Verbundenheit der Landeskirche mit dem Judentum in der Kirchenverfassung zu verankern. Damit kam ein gut anderthalb Jahre dauernder Diskussionsprozess zum Abschluss. Die Referenten informierten über Anlass, Hintergründe, Verlauf und Ergebnis dieses Prozesses, an dem sie (auf Einladung der Kirchenleitung) selbst beteiligt waren.

Weitere Informationen zur Verfassungsänderung bietet die Homepage der Landeskirche: hier klicken

2013

09. November 2013: Für Frieden und Freiheit — 75. Jahrestag der Pogromnacht

Rund 400 Göttinger bei der Gedenkfeier am Synagogenmahnmal

© Göttinger Tageblatt 2013

Für den Artikel vom Göttinger Tageblatt hier klicken (PDF-Datei)

22. September 2013: Tagesfahrt nach Goslar

Unsere diesjährige Herbst-Exkursion führte uns am 22. September bei trockenem, mitunter sogar sonnigem Wetter in die alte Reichsstadt Goslar, wo jüdische Geschichte seit dem Mittelalter bezeugt ist. So konzentrierte sich die Stadtführung von Frau Kammler auf jüdische Stätten im Stadtbild: frühere Wohnhäuser, Geschäfte und Gebetsstätten, ein (erschreckend enges!) Judensammelhaus. Anschließend führte Prof. Schaller über den malerischen jüdischen Friedhof in der Glockengießerstraße, der von 1649 bis 1938 (und wieder nach 1946) benutzt wurde und dessen Grabsteine sehr unterschiedliche Stilmerkmale aufweisen. Nach dem Kaffeetrinken im St. Jakobushaus, der Wirkungsstätte unseres Ersten Vorsitzenden, ging es per Niedersachsenticket zurück nach Göttingen.

© Text: B. Kratz-Ritter, Fotos: H. Willen

14. September 2013: Der Rat der Stadt Göttingen unterstützt die Verlegung von „Stolpersteinen“

Am 13. September 2013 hat der Rat der Stadt Göttingen einstimmig beschlossen:

Der Rat der Stadt Göttingen begrüßt und unterstützt die Verlegung von „Stolpersteinen“ in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf öffentlichen Flächen, sofern  Nachfahren und Angehörige der Opfer zustimmen.

  Damit ist eine über 10 Jahre dauernde Diskussion in unserer Stadt zu einem guten Ende gekommen. Ich bedanke mich ei allen, die viel Engagement und Zeit für die Stolpersteine eingesetzt  und manche Enttäuschung und/oder Verletzung dabei ertragen mussten.

 Nun wird es Aufgabe unserer Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sein, die Verlegung von Stolpersteinen zu organisieren und die nötigen Recherchearbeiten zu machen. Der erste Stolperstein in Göttingen wurde am 31. Mai 2012 verlegt.

Heiner J. Willen, Vors.

09. April 2013: Initiative für den Jüdischen Friedhof Geismar

Kommunalpolitiker wollen Initiative für Jüdischen Friedhof Geismar starten

Initiative für den jüdischen Friedhof in Geismar
© Vetter, Göttinger Tageblatt

Initiative für den jüdischen Friedhof: Gerda Fischer, Frank Möbus, Dieter Czech, Friederike Schmidt-Möbus, Christa Schwalbe, Ute Döring, Steffani Wirth und Bettina Kratz-Ritter (von links oben).
Mehr Information über die Initiative hier

2012

13. Oktober 2012: Die andere Fachwerk-Synagoge

Eine Halbtags-Exkursion führte uns im sonnigen Oktober nach Einbeck, wo wir auf Einladung des Fördervereins Alte Synagoge e.V. (www.alte-synagoge-einbeck.de) Stätten und Zeugnisse jüdischen Lebens kennenlernten: den schön wiederhergestellten Friedhof, eine vermutete Mikwe am Mühlenbach, die Gedenktafel am Rathaus, das Mahnmal. für die in der Reichspogromnacht 1938 zerstörte Synagoge im maurischen Baustil. Und, last not least, eine - unserer Göttinger Synagoge aus Bodenfelde stark ähnelnde - Fachwerk-Synagoge von 1800, die dank Hinterhoflage, Entwidmung und Privatbesitz erhalten geblieben ist. Als Wohnhaus genutzt, geriet sie in Vergessenheit und wurde erst 1993 wiederentdeckt. Seit 2004 bemüht sich der Förderverein um Erhalt, Renovierung und Nutzung des Denkmal-geschützten Gebäudes. Nach ausgiebiger Stadtführung und Besichtigung waren wir Gäste der Baptistengemeinde, der direkten Synagogen-Nachbarn in der Baustraße, wo der anregende und informative Nachmittag harmonisch ausklang. Mehr Information über den Förderverein und das Projekt hier


Jüdischer Friedhof

Mahnmal

© Text und Fotos: B. Kratz-Ritter

05. Juni 2012: „Lokaltermin“ gut angenommen

Mit einem Dutzend angemeldete Teilnehmer erschloss das Vorstandsmitglied Dr. Bettina Kratz-Ritter sich die „Zieten-Kasernen" zu Fuß (dank eines Zwischenhochs sogar trockenen Fußes!) sowie aus alten Plänen, Bildern und Berichten. Die Kavalleriekaserne war ein kriegswichtiges und wirtschaftlich attraktives Projekt und eignete sich neben Autobahnbau und Universitätsjubiläum 1937 gut für die nationalsozialistische Propaganda.

Fotos: © C. Reh, Text: © B. Kratz-Ritter